Archive for März 13th, 2010

Das Forum der Comic Combo zieht um, darum hängen die jüngsten Texte für den Shop ein wenig im Limbo fest. Um nicht noch länger zu warten, präsentiere ich sie vorab schon mal hier.

Die Links reiche ich nach geglücktem Umzug rüber. Versprochen. 🙂

Francois Bourgeon
Das Mädchen von Bois-Caiman

Es hat ihm wohl keine Ruhe gelassen. Ende der siebziger Jahre schrieb und zeichnete der Franzose Francois Bourgeon die Albenreihe „Reisende im Wind“ über die Zeit der letzten großen Sklaventransporte in die USA Ende des 18. Jahrhunderts. Mit der darin vorexerzierten historischen wie grafischen Genauigkeit und Detailfreude etablierte er sich als eines der herausragenden Talente des europäischen Comic. Gleichzeitig ließen sich die fünf Teile als eine durchgängige Erzählung lesen statt als Abfolge einzelner Abenteuer. Beeinflußt fraglos vom großen Hugo Pratt, experimentierte Bourgeon mit dem Umfang der Comicerzählung, die zu jener Zeit in Frankreich ebenso wie in den USA in ein einengendes Seitenkorsett gesperrt war, und wies dem europäischen Comic damit auch formal neue Wege.

Dreissig Jahre später greift Bourgeon den Faden wieder auf, in einer Erzählung, die sowohl als Epilog wie auch als Fortsetzung begriffen werden kann. Achtzig Jahre nach den Ereignissen der ursprünglichen Serie erzählt er sowohl in Rückblenden vom weiteren Schicksal der Hauptfigur Isabeau aus der originalen Serie, als auch von dem ihrer Enkelin gleichen Namens während des Sezessionskrieges. Dabei könnte der Kontrast größer nicht sein: die hundertjährige Isabeau ist weiterhin weltoffen und lehnt die Sklaverei ab, die junge Frau dagegen glühende Verfechterin einer Rassentrennung und überzeugt, dass man die Schwarzen kleinhalten müsse, damit sie das weiße Amerika nicht überrennen.

Es ist das Problem nahezu jeder Fortsetzung, daß sie ohne das Original schlecht funktioniert. So auch hier. „Das Mädchen von Bois-Caiman“ ist ein Nachklapp, der sich erst nach Kenntnis der ursprünglichen Reihe erschließt. Aber was für ein Nachklapp!

Zum einen zeigt sich Bourgeon weiterhin auf der Höhe seiner Kunst als Zeichner. Gestützt ganz offenbar auf einer Vielzahl zeitgenössischer Illustrationen, Stiche und auch bereits Fotografien, entwirft er ein atemberaubendes Bild vom amerikanischen Süden im Bürgerkrieg aus unzähligen Einzelillustrationen. Wie oft bei Bourgeon steht weniger die Erzählung im Vordergrund, und mehr der Ort, an dem sie spielt, und den der Zeichner mit sicherem Gespür für Details rekonstruiert.

Darüber hinaus verwirrt Bourgeon den Leser, indem er eine offenkundig unsympathische, rassistische Frau zur Hauptfigur, ja sogar zur Heldin der Erzählung macht. Als Autor verweigert sich Bourgeon zumindest im ersten teil seiner neuen Geschichte dem besseren Wissen der Nachgeborenen, dass Sklaverei abzulehnen ist, und schafft mit Isabeau und den weiteren handelnden Personen (nahezu allesamt Nachkommen des Personals der ersten Albenserie) Figuren, die dem Denken ihrer Zeit verhaftet sind.

Nicht nur die grafische, sondern auch die geistige Rekonstruktion einer vergangenen Epoche ist also das Ziel des Zweiteilers. Das ist gegenüber der mitunter etwas besserwisserischen ersten Serie nochmals eine Steigerung. Und vielleicht ist es das, was Bourgeon, gereift und altersweise, mit der Rückkehr zu diesem Titel erreichen wollte. (stefan pannor)

Splitter Verlag, 80 S.; € 17,80