Er gilt als produktivster Comiczeichner aller Zeiten: mehr als 150.000 Comicseiten hat Osamu Tezuka gezeichnet. Darunter auch eine düstere, gewalttätige Biografie des Gründers des Buddhismus, die jetzt erstmals auf deutsch erscheint.

Da geht der Kitsch ab: Blüten öffnen sich, Sterne rieseln vom Himmel, Dschungeltiere versammeln sich einträchtig, der Himmel geht auf für ein strahlendes Licht. Und dann, ja dann wird der Buddha geboren.

So geschildert in Osamu Tezukas voluminöser Biographie „Buddha“. Der japanische Comic unternimmt auf 3.000 Seiten den Versuch, die Lebensgeschichte von Siddharte Gautama, dem Begründer des Buddhismus, zu schildern.

Eigentlich ein Wahnsinnsunterfangen. Aber mit großen Projekten kannte Tezuka sich aus. Der Zeichner (1928 – 1989) gilt in Japan als „Gott der Mangas“. 150.000 bis 170.000 Comicseiten hat er gezeichnet, mehr als jeder andere auf diesem Planeten. Er hat nicht nur gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die japanische Comicindustrie gegründet, sondern knapp ein Jahrzehnt später auch die japanische Trickfilmindustrie. Beides heute milliardenschwere Wirtschaftszweige des Landes.

Und trotzdem war Tezuka tatsächlich für jede einzelne Comicseite verantwortlich, die unter seinem Namen erschien.

Tezukas erzählerische Bandbreite ist so groß wie die von keinem sonst.

Sein Werk umfasst Kinderunterhaltung, Dostojewski-Adaptionen, Erotikcomics und ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem deutschen Faschismus. Unter dem Titel „Phoenix“ arbeitete er in den Sechzigerjahren an einer Geschichte Japans von der frühen Urzeit bis in die ferne Zukunft. Es sollte sein Opus Magnum werden, blieb aber mit rund 6.000 Seiten Fragment.

Immerhin wurde es zur Keimzelle von „Buddha“. Schon „Phoenix“ griff umfangreich auf buddhistische Ideen, vor allem aber auf Japans komplexe Religionshistorie zurück, in der der Buddhismus eine tragende Rolle spielt. Mit „Buddha“ ging Tezuka zum Kern dieser Ideen zurück. Erzählerisches Ziel war es, die Entstehung des Buddhismus in Comicform zu schildern.

Das Ergebnis ist, trotz der hochpathetischen Buddha-Geburtssequenz, alles andere als kitschig. Im Gegenteil ist es ein finsteres, dichtgewebtes Drama. Schon der Buddha-Geburt geht ein Prolog voraus, der mehrere hundert Seiten umfasst, und das prä-buddhistische Indien als einen brutalen Kampf aller gegen alle schildert.

Entlanggehangelt am Schicksal des Bettlerjungen Chapra schildert Tezuka im Prolog ein moralisch verkommenes System, in dem Armut, Mord- und Totschlag an der Tagesordnung sind und aus dem es aufgrund des rigiden Kastensystems keinen Ausweg gibt.

Erbauungsliteratur ist das nicht!

Über zwanzig Figuren tragen die komplexe, den gesamten Subkontinent umfassende Handlung der voluminösen Erzählung, bei der Buddhas kitschige Geburt und seine spätere Suche nach Erleuchtung lediglich Kontrapunkt zu einem düsteren Geschehen sind, das mit grimmiger Wut und gelegentlich aufblitzender leichter Ironie geschildert wird.

Tezukas Bilder ausgemergelter Menschen, bizarrer Jagd- und Folterrituale und von nicht immer freiwilligem Sex sind drastisch. Grade wenn man bedenkt, dass sich „Buddha“ ursprünglich an ein Lesepublikum von 12 bis 16 Jahren richtete. Wie die meisten von Tezukas Comics erschien auch „Buddha“ zuerst als Vorabdruck in Fortsetzungen. In diesem Fall im Magazin „Kibo-no-Tomo“, einem speziell auf ältere Schüler zugeschnittenen Comicheft mit verschiedenen Serien, von 1972 bis 1983.

Hiesigen Pädagogen dieser Zeit hätte sich angesichts dieser Vorstellung vermutlich der Magen umgedreht. Als vor knapp zehn Jahren die erste englischsprachige Ausgabe von „Buddha“ erschien, war das zurecht bei Vertical, einem auf anspruchsvolle japanische Gegenwartsliteratur spezialisierten Verlag. Sie gewann den Eisner-Award, den begehrtesten Comicpreis der USA.

Inzwischen ist Tezuka im englischen und französischen Sprachraum fest als Meistererzähler etabliert. In Deutschland fristet er dagegen ein Nischendasein. Das Mammutunterfangen, den Jahrhundertcomic „Buddha“ mehr als dreissig Jahre nach seiner Volllendung endlich in deutscher Sprache zu bringen, wird daran vermutlich nicht viel ändern. Aber es ist gut, dass es versucht wird.

Carlsen Comics, 10 Bde., jeweils € 22,90

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  • Unredigierte Manuskriptfassung des Artikels auf SPIEGEL-Online.

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