Ein Science-Fiction-Held, der aus der Zeit fällt: schon in den Sechzigerjahren wirkten die Pulp-Abenteuer von „Luc Orient“ altbacken – trotz atemberaubender Zeichnungen. Vierzig Jahre später gibt es eine Gesamtausgabe.

Ein bisschen muss das damals schon gewirkt haben wie aus der Zeit gefallen: eine Comicserie, in der sich Schurken tatsächlich vorstellen mit „ich, dein alter Feind“, in denen die Frauen permanent aus Notlagen gerettet werden müssen, in die sie sich selbst gebracht haben, und in denen finstere Sterndiktatoren nicht mal nur ein paar Planeten, sondern gleich „das ganze Universum“ erobern wollen und dabei, natürlich, mit der Erde anfangen, obwohl die weit weg von ihrem Zuhause ist.

Damals, das war 1969, und die Serie hiess „Luc Orient“.

Und die Frage, wie ernst gemeint dieser möglicherweise nicht nur rückblickend wie Trash wirkende Comic war, muss erlaubt sein.

Zum Vergleich: die späten Sechzigerjahre hatten in Frankreich auch nur die Comicszene umgekrempelt. In „Pilote“ wurde Chefredakteur René Goscinny fast vor die Tür gesetzt, die jungen Wilden kaperten das Schiff.

Neben mehr Freizügigkeit und Gewalt gab es auch erste gleichberechtigte Frauenfiguren, die Plots wurden komplexer und entfernten sich von klaren Gut-Böse-Schemata. Sinnbildlich hierfür steht, zumindest im Bereich der Science-Fiction-Comics „Valerian & Veronique“ von Mezieres und Christin, gestartet 1967.

Beim Konkurrenzmagazin „Tintin“ hatte Michel Regnier alias Greg als Chefredakteur versucht, das ebenso altehrwürdige wie altbackene Comicheft (immerhin hatte es seine Wurzeln noch vor dem Krieg) gemäß den Anforderungen der neuen Zeit umzubauen. Eines der Ergebnisse der im Gegensatz zu „Pilote“ sorgsam gesteuerten und vorsichtigen Modernisierungsversuche war nun ausgerechnet „Luc Orient“.

Grafisch war das in der Tat auf der Höhe der Zeit.

Eddy Paape, in einem erstaunlichen Ausbruch ungezügelter Kreativität, entwarf, zumindest in den ersten Bänden, ganz verwirrend bunte und bedrohliche außerirdische Welten und bizarre Landschaften, bevölkert von obskuren Kreaturen.

Als Vorbilder lassen sich hier Jean-Claude Mezieres Zeichnungen für „Valerian & Veronique“ erahnen, genauso aber André Franquins zur gleichen Zeit immer sinnverwirrender werdende Bilderwelten.

Nur leider konnten ausgerechnet die Skripte, die Regnier als Autor dazu lieferte, nicht mithalten. Regnier, der vorher einige der besten Comics der Sechzigerjahre verfasst hatte (u.a. einige der besten Episoden von „Spirou & Fantasio“) und bekannt war für seine Wandlungsfähigkeit zwischen komisch und dramatisch, verrannte sich in altbackene Klischees.

Das Figurenpersonal der Serie war im Grunde direkt von „Flash Gordon“ geklaut.

Und deren Beziehung zueinander, mit dem strahlenden, leicht tumben Helden, dem brillanten Wissenschaftler und der attraktiven Gehilfin, die stets zur Stelle ist, wenn etwas erklärt werden muss, ansonsten aber vor allem dazu dient, wieder und wieder aus Notlagen gerettet zu werden – all das war schon damals nicht neu.

Möglich, dass Regnier die Serie als Hommage an klassische Pulp-Science-Fiction angelegt hatte. Eine Parodie ist es nicht – die Darstellung, um nicht zu sagen Häufung trashiger Klischees ist vollkommen ironiefrei.

Für „Tintin“ immerhin war „Luc Orient“ ein Erfolg. Bis 1977 folgten in schneller Folge 13 albenlange Episoden, auch danach wurde die Serie bis zum Tod von Regnier unregelmäßig weitergeführt.

Aus heutiger Sicht verblüffend, lebt die klischeehafte, gelegentlich geschwätzige und trotz permanenter Handlungswendungen verblüffend behäbige Serie vor allem von den poppigen, bizarren Bilderwelten von Eddy Paape, die schillernd bunt eine Zukunft zeigen, die schon zur Entstehungszeit des Comics von gestern war.

Ehapa Comic Collection, 192 S.; € 29,99

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  • Verfasst im Juni 2011 für die Leipziger Comic Combo.

    One Response to “Aktuelle Comicrezension (182) ‚Luc Orient‘”

    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (236): ‘Bruno Brazil’ & ‘Bruce J. Hawker’ says:

      […] des Helden einziger Ausflug in einen Staat, der sich unschwer als DDR erkennen läßt), und auch sonst ein reichlich produktiver Autor war, obwohl er nie so bekannt wurde wie ähnlich aktive und vielseitige Szenaristen wie Goscinny und […]