„Spider-Man“, erzählt mit den Mitteln des Independent-Comics – das ist „Invincible“, die andere große Serie von „The Walking Dead“-Autor Robert Kirkman. Darin zerlegt er den amerikanischen Superheldentraum, während er ihm gleichzeitig ordentlich Zucker gibt. Ein fantastischer Spaß.

Man kann nicht behaupten, dass Robert Kirkman ein sonderlich innovativer Autor ist.

Sei es in „The Walking Dead“, dem Zombie-Comic, den er seit 2003 schreibt. Seien es seine Werwolf-Comics oder die für einen us-amerikanischen Comicautor beinahe obligatorischen „Spider-Man“- und „X-Men“- Ausgaben, die er für Marvel runtergerasselt hat.

Kirkman greift auf vertraute Genres und Erzählmuster zurück. Seine Helden sind gute amerikanische Jungs in einer bösen, nicht sonderlich komplexen Welt, die wir aus anderen Zusammenhängen, vor allem Kino und Comic, kennen. Das erleichtert die Orientierung.

Und doch ist Kirkman einer der wenigen amerikanischen Comicautoren, die eine ständig wachsende Leserschaft erreichen.

Was ist sein Appeal?

Besser noch als an der Zombie-Saga lässt sich das an „Invincible“ ablesen, Kirkmans anderer großer Serie, beinahe zeitgleich gestartet, wenn auch nicht annähernd so erfolgreich.

Eine Superhelden-Geschichte, und die geht so: guter amerikanischer Teenager entdeckt, das er Superkräfte hat und legt sich ein Kostüm zu, um für das Gute zu kämpfen. Weil das ist, was gute amerikanische Jungs machen, und weil sein Vater ebenfalls Superheld ist.

Wie Mark Grayson im Vorstadt-Reihenhaus lebt, mit einer TV-tauglichen Familie, in der das Essen um Sechs auf den Tisch steht, ist als Erzählung eines Lebens zwischen Pancakes, Baseball und Schurkenvermöbeln fast schon zu sehr middle of the road.

Natürlich riecht das alles extrem nach „Spider-Man“.

Spätestens allerdings, wenn sich herausstellt, dass Marks Vater ein Killer ist, bekommt die heile Welt Risse, und zwar mitten im Kern.

Der Vater-Sohn-Konflikt, den Kirkman da so vorder- wie hintergründig zugleich inszeniert, das Scheitern des Familienidylls und damit die Zerlegung des amerikanischen Vorstadt-Traums mit den Mitteln des Superheldencomics ist natürlich zuallererst eine auf Unterhaltung angelegte Soap, die relativ zügig kosmische Dimensionen annimmt: Aliens spielen auch eine Rolle.

Nichtsdestotrotz erinnert die Erzählung in ihren besten Momenten an Mittel und Methoden des amerikanischen Independent-Comic, der immer schon dort am besten war, wo er vom amerikanischsten aller Millieus, der Vorstadt, erzählen konnte. Egal ob bei Peter Bagge, Craig Thompson oder Chester Brown.

„Invincible“ erzählt die vaudevillehaften Gaukelei der Superheldencomics aus der erdigen Perspektive der Indies.

Das Ergebnis ist meist leichtfüßig, aber gelegentlich böse, dezent mit Seitenhieben in beide Richtungen gespickt: Mark darf zwar das Land vor irren Bombenlegern retten, aber um Mitternacht, sagt Mutter, ist das Licht aus. Und keine Mädchen auf dem Zimmer!

Wie schon bei „Watchmen“, Alan Moores zentraler Analyse der Superhelden, läßt sich auch hier der Kampf des Helden für das Gute als Mittel gegen den Triebstau lesen.

Dabei ist „Invincible“ sicher kein zweites „Watchmen“. Aber es sind diese kleinen Haken in der oberflächlich glatten Erzählung, die den Reiz ausmachen.

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Robert Kirkman/ Cory Walker/ Ryan Ottley: Invincible, 100 S., € 12,90; dt. bei Nona Arte

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  • Verfasst im Juli 2011 für die Frankfurter Rundschau und die Leipziger Comic Combo.

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