Mit elf Jahren fing er an Comics zu zeichnen. In den Fünfzigerjahren erdete er die Bildergeschichten in den amerikanischen Comicheften, indem er ihnen realistische Kriegscomics entgegensetzte. Er hat Graphic Novels über Bosnienkrieg und Holocaust veröffentlicht. Joe Kubert starb am Montag im Alter von 85 Jahren.

Joe Kubert war 73 Jahre alt, da fand er heraus, dass er heimatlos ist. Yzeran, sein polnisches Shtettl, war im Zweiten Weltkrieg von den Nazis zerstört worden, die Einwohner getötet oder ins Warschauer Ghetto verschleppt. Kubert sah den Eintrag im Museum.

Kubert war 1926 geboren worden. Noch im selben Jahr wanderten seine Eltern mit dem zwei Monate alten Sohn in die USA aus. Wären sie geblieben, wäre es ihnen und dem Kind so gegangen wie allen anderen Einwohnern Yzerans.

Das bittere „Was wäre, wenn“-Spiel fand seinen Niederschlag in der Graphic Novel „Yossel“. Veröffentlicht 2004, schildert sie den Lebensweg des Kubert, den es nicht gab. In der Erzählung wird der Knabe Yossel aus dem Heimatdorf verschleppt und kommt beim Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 um. Yossel ist eine jiddifizierte Form von Joe.

Im realen Leben war Joe Kubert zu diesem Zeitpunkt bereits ein vielbeschäftigter Comiczeichner. Mit elf Jahren übernahm er die ersten Aufträge, das Reinzeichnen der Vorzeichnungen anderer Künstler. Dafür bekam er fünf Dollar pro Seite, für die damalige Zeit und sein Alter ein aufsehenerregendes Honorar.

Comichefte waren zu dieser Zeit, 1938, eine heisse Sache. Die ersten Superheldencomics waren grade erschienen. Kubert, der bei seinen Eltern in New York wohnte, machte seine ersten Schritte in einem kreativen Umfeld, in dem auch spätere Altmeister wie Will Eisner, Stan Lee oder Jack Kirby sich grade erst zu etablieren begannen.

Ab 1942 erschienen die ersten Comics von Kubert als Hauptzeichner. Hauptsächlich Superhelden. Sein zeichnerisches Hauptthema fand er erst 1959. In dem Jahr erschien ein von Kubert gezeichneter und Bob Haney verfasster Comic um einen anonymen Militärsergeanten im Zweiten Weltkrieg mit dem Spitznamen ‚The Rock‘. Er etablierte sich innerhalb weniger Monate als Hauptfigur einer langlebigen monatlichen Serie.

Rock war das Wunschbild des amerikanischen Platoon-Soldaten: hart, aber fair, unerbittlich, aber nicht sadistisch. In den Comics fand er vor allem im Zweiten Weltkrieg Einsatz, in einem nie enden wollenden Kampf gegen Nazideutschland.

Es war das ideale Sujet für Kubert, den ausgewanderten polnischen Juden. Für Sergeant Rock entwickelte er einen virilen, realistischen Strich, der deutlich bodenständiger war als die knallig-bunten Superhelden-Bilderwelten seiner Kollegen.

Die Rock-Comics, bei aller inhaltlichen Naivität und eingeschränkt durch die Autorität des Comics Code, der allzu drastische Kampfszenen verbot, waren einer der frühesten realistischen Kriegscomics und schon durch ihren Erfolg prägend für nachfolgende Zeichner.

Nicht nur als Zeichner hat Kubert Spuren hinterlassen. 1976 gründete er die Joe Kubert School of Cartoon and Graphic Art, ein intensiver dreijähriger Lehrgang zum Comiczeichner. Neben prägenden Zeichnern der Achtziger- und Neunzigerjahre wie John Totleben („Swamp Thing“) und Alex Maleev („Daredevil“) haben dort auch seine Söhne Adam und Andy abgeschlossen – heute zwei der gefragtesten Zeichner für Marvel- und DC-Comics.

Das Thema des Krieges hat den Zeichner ein Leben lang nicht losgelassen. 1996 erschien „Fax aus Sarajevo“. Der mehrhundertseitige Comic arbeitet den Bosnienkrieg auf, basierend auf realen Berichten, die Kuberts Agent Ervin Rustemagic dem Zeichner geschickt hatte – per Fax, weil das die einzige funktionierende Kommunikationsmöglichkeit war. Und 2004 schließlich „Yossel“, die Nicht-Biografie des Heimatlosen.

Kubert war aktiv bis ins hohe Alter. Im Juni war ein zusammen mit seinem Sohn Andy gestaltetes „Watchmen“-Prequel erschienen. Für Herbst war eine „Joe Kubert Presents“-Heftserie angekündigt. Bis zuletzt arbeitete er immer an drei Projekten gleichzeitig. Vergangene Nacht starb er im Alter von 85 Jahren.

  • Manuskriptfassung des auf SPIEGEL-Online veröffentlichten Nachrufs.
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  • One Response to “Dem Krieg nachzeichnen. Zum Tod von Joe Kubert”

    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Schneewittchen in Auschwitz says:

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