Diesen Vortrag über Entwicklung und Zustand israelischer Comics habe ich auf dem Leipziger Comicgarten gehalten – gefolgt von einer Gesprächsrunde mit dem israelischen Zeichner Gabriel S. Moses. Nach dem Break das vollständige Manuskript.

Comics aus Israel sind im deutschen Sprachraum kaum bekannt. Der einzige Titel, der es in den letzten fünfzig Jahren zu immerhin nennenswerter Bekanntheit gebracht hat, ist „Blutspuren“ von Rutu Modan. In der Graphic Novel arbeitet die Zeichnerin den Alltag in Israel auf.

Demgegenüber steht eine nennenswerte Zahl von Comics ÜBER Israel. Ob nun Joe Saccos Aufarbeitung des Konfliktes zwischen Israel und Palästina in inzwischen zwei Büchern, Sarah Gliddens „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“ oder Guy Delisles „Aufzeichnungen aus Jerusalem“.

Aus Deutschland wird dieser beachtliche Reigen von Comics über Israel mit dem Band „Cargo“ erweitert, in dem Berliner Comiczeichner ihre Sicht der Dinge auf israelischen Alltag darstellen.

Dieser Widerspruch zwischen einer Vielzahl Comics über Israel einerseits und kaum Comics aus Israel andererseits könnte zu dem Schluß führen, dass es eigentlich keine israelischen Comics gibt.

Und ja, das muss gleich zu Anfang eingestanden werden: die israelische Comicszene ist klein.

Das liegt daran, dass sie jung ist. Wie in vielen Staaten des vorderasiatischen und arabischen Raumes fand auch in Israel die Entwicklung einer eigenen Comickultur erst sehr spät statt. Eingeengt durch das Diktum, Comics seien nur für Kinder, beschränkte sich grafisches Erzählen lange Zeit auf Kinderbuchillustrationen.

Dort, wo Comics stattfanden – in Kinderzeitschriften – dienten sie vorrangig pädagogischen Zwecken. Es waren in der Regel kurze Erzählungen, die Kindern die Wichtigkeit der Landesverteidgung vermitteln sollten, oder der freiwilligen Mithilfe in der Landwirtschaft.

Um es einmal in einen historischen Kontext zu setzen: der Staat Israel wurde nach langen Bemühungen 1948 gegründet. Und weder davor noch während der gesamten ersten 30 Jahre seines Bestehens gab es keine israelischen Comics mit wiederkehrenden Figuren oder Themen.

Comics waren reine Gebrauchserzählungen mit einem Figurenpersonal, das immer wieder den erzählerischen Zwecken angepasst wurde. Erst 1978 erschien die erste Comicserie in Israel. Es war die um den Superhelden Sabraman, gestaltet von dem damals noch 15jährigen Uri Fink.

Rückblickend kann diese Serie als Geburtsstunde des modernen israelischen Comics betrachtet werden.

Sie steht für den Anfang der Entwicklung einer eigenständigen Szene, die sich ab den 1980er Jahren entwickelte und frühzeitig aufspaltete. Einerseits die direkt in der Tradition von „Sabraman“ stehenden Comicerzähler, die Comics als reines Unterhaltungsmedium betrachten.

Andererseits die vor allem im Umfeld junger alternativer Blätter hochgekommenen Comicerzähler, die sich darum bemühten, die Comicklischees des Landes zu brechen. Etwa Dudu Geva, der die Figuren und Inhalte der Kindercomics nahm und sie in ein erwachsenes Umfeld versetzte, in dem simple Lösungsansätze scheitern müssen.

Rund um Geva und dessen Epigonen entwickelte sich das, was man in Ermangelung eines besseren Begriffes Underground nennen muss und letztlich zum modernen israelischen Comic führte. Es waren die Macher von Comicheften in Kleinauflage, Kleinverleger und Betreiber von Comicblogs, die sich seit rund 20 Jahren intensiv bemühen, Israel eine eigene Comiclandschaft zu verschaffen.

Zu diesen Künstlern gehört auch Gabriel Moses. Hierzulande bekannt wurde er durch seine Graphic Novel „Spunk“, die sich mit der israelischen Punk- und Hardcore-Szene auseinandersetzt.

Die Darstellung weits verblüffende Parallelen zur Comicszene auf. Israel, schreibt Moses, sei „allgemein kein kulturfreundliches Land“. Und weiter: „Punk Rock gibt es noch nicht sehr lange in Israel. Immer wieder höre ich von Skatern, dass sie noch 1995 direkt vom Fernseher aus die Songs aus Skateboard-Filmen mitgeschnitten haben.“

Indirekte Hauptfigur von „Spunk“ ist JJ bzw. Yarden Yáakobi. Sie ist 15 und „so fucking Punk, dass sie dir in jeder Menschenmenge sofort aufgefallen wäre“. JJ träumt vom Bombenlegen, fickt das System und die halbe Stadt und wird vor ihrem sechzehnten Geburtstag sterben – sie ist ein männlicher Idealtypus einer Teenage-Revoluzzerin.

„Spunk“ ist weniger ein Comic im herkömmlichen Sinn als vielmehr ein permanenter Strom von Assoziationen und Bildern.

In fiktiven Blogeinträgen, Slogans, Buttons, in schlierigen, flirrenden Bildern und Detailausschnitten entwirft Moses ein Portrait des Mädchens, ihrer Handlungen – und indirekt eines der israelischen Gegenkultur. Eine Szene im permanenten Ausnahmezustand: „Klar, hier gibt es immer Krieg. Tagtäglich sterben die Menschen hier an der Front oder auf der Straße. Mit 18 wirst du einberufen, ob du willst oder nicht.“

2 Responses to “Comics in Israel”

  1. Oliver L. says:

    Ach, Sabraman und das 1978? Da frage ich mich doch, ob die 1980 entstandende Marvelheldin Sabra, die ebenfalls Israelin ist, von … ?! Hm … 😉

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (1): Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger says:

    […] Comics in Israel […]