Da war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: Sarah Gliddens Erinnerungen an einen Israel-Trip in Comicform.

Der Titel ist natürlich eine Provokation. Die Annahme, Israel und die damit verbundenen politischen Komplikationen in grade mal zwei Monaten verstehen zu wollen, ist absurd. Aber darum geht es in Sarah Gliddens Reisebericht durch das umstrittene Land auch nicht.

„Israel verstehen“ fällt grob in die Kategorie von Comics, die autobiographisch genannt werden. Es verfolgt, anders als z.B. Joe Saccos Comicreportagen aus Palästina, für die er ausgiebig recherchiert hat und die auf unzählige Quellen verweisen, keinen journalistischen Ansatz. Sarah Glidden schildert, aus streng subjektiver Sicht, ihre Reise durch Israel, als Bestandteil einer der sogenannten „Birthright“-Reisegruppen.

Dabei handelt es sich um vom Staat Israel finanzierte Reisen für außerhalb Israels lebende Juden, die „ihren“ Staat kennenlernen sollen. Nicht dass es Sarah Gliddens Staat ist.

Von Anfang an nimmt sie die Rolle einer liberalen Skeptikerin ein, der das Palästina-Problem bewusst ist, die Probleme hat mit der engen Verknüpfung von Religion und Staat in Israel und die mit der oft martialisch zur Schau getragenen Haltung Israels Probleme hat.

Als Reisebericht entzieht sich die Geschichte jeder herkömmlichen dramaturgischen Kategorisierung. Es ist keine „vom Saulus zum Paulus“-Erzählung, mit einem finalen Bekenntnis zu Israel oder auch nur einem irgendwie objektiv übertragbaren Verständnis.

Es ist Sarah Gliddens Geschichte, und sie schildert, ganz fraglos auf schüchterne, mitunter neurotische, permanent zweifelnde Art den Versuch der Selbsterzählerin, als amerikanische liberale Jüdin mit Israel ins Reine zu kommen, während sie vor Ort ist, mit den Menschen, Orten und historischen Stätten, genauso aber mit der Ungerechtigkeit gegen die arabische Minderheit und dem allgegenwärtigen Militär in Kontakt kommt.

Der Ton, den sie dabei anschlägt, ist sanft, mit einem Hang zum Gechwätzigen, die Bilder in sanften Wasserfarben gehalten, voller Melancholie und Selbstzweifel. Die Frage, was israelische Propaganda ist und was wahr von dem, was ihr gezeigt wird, zieht sich als roter Faden durch das Buch, ohne eine endgültige Antwort zu finden.

„Israel verstehen“, der Titel des Buches, ist demnach weniger als allgemeingültige Antwort gemeint. Das Verstehen, das Sarah Glidden meint, ist emotionaler Natur, nicht ein Finden von Lösungen, sondern ein Bewußtwerden der Problematiken, die mit Israel zusammenhängen, und dem Wissen, dass es keine alle zufriedenstellende Lösung des Konflikts gibt.

Panini Comics, 208 S.; €24,95

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    12 Responses to “Der Rest vorm Fest (1): Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger”

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    12. Stefan Pannor » Blog Archive » 3 auf 1: The Last of Us im wahren Leben says:

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