Da war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: Schneepoesie von Marie Sann und Blutgesaller von Daniel Schreiber.

Vermehrt konzentriert sich der Bielefelder Splitter-Verlag auf eigene Comicproduktionen, sei es als aktueller Haus- und Hofverlag von Matthias Schultheiss oder mit der umfangreichen „Wolkenvolk“-Serie nach der Romantrilogie von Kai Meyer. Von den weiteren angekündigten Titeln liegen zwei seit diesem Herbst vor.

„Frostfeuer“ ist eine weitere Adaption eines Kai-Meyer-Buchs, wobei das Skript einmal mehr von Yann Krehl stammt, der damit nach „Das Wolkenvolk“ und „Wellenläufer“ (bei der Ehapa Comic Collection) bereits zum dritten Mal einen Meyer-Roman als Szenarist umsetzt.

Es gäbe viel zu loben daran, wie er Meyers mitunter ausufernden Erzählstil auf Comictauglichkeit herunterbricht, dabei möglichst viel Raum zur Visualisierung lässt und hochgradig ökonomische Dialoge schreibt.

Aber „Frostfeuer“ ist, bei allem Respekt, den sich der Skripter hier verdient, vor allem die Marie-Sann-Show. Das wird spätestens klar, wenn die grob am Märchen von der Schneekönigin ausgerichtete Handlung nach dem Prolog im Eispalast in das Sank Petersburg des Fin-de-siècle wechselt, wo sie fast ausschliesslich in einem Nobelhotel spielt.

Wie Marie Sann eine Welt der eklatanten Widersprüche entwirft – das gutbeheizte Hotel gegen das im Schnee versinkende St. Petersburg, der noble Ballsaal gegen die trüben Kammern für das Personal – ist in der Ausführung atemberaubend.

Es ist eine wunderbare Poesie des Erzählens, die den leicht trivialen Plot (armes Waisenkind hilft großer Königin bei der Suche nach einem wichtigen Gegenstand) in ein Märchen verwandelt. Aufsehenerregend vor allem die Farben, das permanente optische Wechselbad zwischen blau-weiss-gehaltenen Schneesequenzen und rotbraunen Innenaufnahmen.

Da stört es auch kaum, dass grade die Hauptfigur etwas zu huschig, großäuig und abgemagert daherkommt, dass Details wie diesen vielleicht doch zu sehr auf der Klaviatur des Kitsches gespielt wird. Auf drei Bände ist die Reihe angelegt, und man darf auf die übrigen zwei gespannt sein.

Ganz anders bei „Annas Paradies“. Das ist, im Gegensatz zu „Frostfeuer“, ein vom Zeichner entwickelter Originalstoff – und ein Ärgernis. Angesiedelt irgendwo in Deutschland Ende 1946, geht es um einen gefallenen Engel, der im Nachkriegsdeutschland aus nicht näher genannten Gründen zur Erde fällt.

Das fängt atmosphärisch an, grafisch irgendwo in der Nähe zu Loisel angesiedelt, mit ganz leichten Anklängen an Tardi und einigen kurzen, realistischen Szenen über das Leben im zerbombten Deutschland.

Statt das Potential zu nutzen, die gerade vor diesem Hintergrund in dem plötzlich auftauchenden phantastisch-religiösen Element liegt, bricht Daniel Schreiber die Geschichte jedoch ziemlich zügig auf einen stupiden Splatter-Plot herunter. Ohne dass die Motive der Akteure jemals richtig klar werden, versinkt die zweite Hälfte des Bandes in exzessivem Gemetzel jeder gegen jeden.

Mag man das noch hinnehmen, wird es wirklich unangenehm, wenn im Verlauf der Handlung der gesamte zweite Weltkrieg als Ergebnis irgendwelcher satanischen Winkelzüge ausgegeben wird.

Gerade vor dem Hintergrund der ausufernden Fantasy-Gewalt, spritzende Gedärme inklusive, wirkt ein solcher Erklärungs-, um nicht Rechtfertigungsansatz zu sagen, bemüht und dumm. Was den Autor – und den Verlag – da geritten hat, bleibt ein Rätsel. Schade um das Potential.

Frostfeuer: Splitter Verlag, 48 S.; € 13,80
Annas Paradies: Splitter Verlag, 64 S.; € 13,80

Der Rest vorm Fest:

01 – Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger
02 – King Aroo
03 – Comic Noir
04 – Habibi
05 – House of Mystery
06 – Alan Moores Neonomicon
07 – The Unwritten
08
09
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24

2 Responses to “Der Rest vorm Fest (08): Frostfeuer”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (13): Asja Wiegand & Ulf Salzmann says:

    […] 05 – House of Mystery 06 – Alan Moores Neonomicon 07 – The Unwritten 08 – Frostfeuer 09 – Zahra’s Paradise 10 – Spirou 11 – Johann & Pfiffikus 12 – […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (16): “Jerusalem” von Guy Delisle says:

    […] 05 – House of Mystery 06 – Alan Moores Neonomicon 07 – The Unwritten 08 – Frostfeuer 09 – Zahra’s Paradise 10 – Spirou 11 – Johann & Pfiffikus 12 – […]