Da war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: zwei Comics über den Nahen Osten.

Comics über den Nahen Osten sind trotz des gewaltigen Erfolgs von „Persepolis“ weiterhin eine Seltenheit. Zwei aktuelle Titel bereichern die schmale Auswahl.

„Zahra’s Paradise“ greift im Grunde den Faden dort auf, wo „Persepolis“ ihn liegen gelassen hat. Obwohl beide Bücher nicht direkt miteinander zu tun haben und von völlig verschiedenen Erzählern stammen.

Das liegt daran, dass beide Bücher in der Realität wurzeln. Marjane Satrapi hat in „Persepolis“ in von der Machtergreifung des Ayatollah im Iran der Siebzigerjahre erzählt hat und von der dort errichteten Mullah-Diktatur. „Zahra’s Paradise“ erzählt von den blutigen Unruhen im Iran nach der Wahl im Jahr 2009, als dem damaligen Gewinner Ahmedinaschad Wahlfälschung vorgeworfen wurde.

Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den Büchern. Marjane Satrapis Buch ist autobiografisch ausgerichtet, stets mit dem Blick auf das eigene Befinden.

„Zahra’s Paradise“ ist ein eher journalistisches Buch. Die tragende Handlung – eine Mutter sucht ihren in den Unruhen verloren gegangenen Sohn und reibt sich dabei mit den Machthabern des Regimes – ist fiktiv, bindet aber unzählige reale Ereignisse, Zitate und Personen ein.

Soviel, dass es mitunter fast zuviel wird. „Zahra’s Paradise“ ist als Geschichte von Unterdrückung und massiver staatlicher Gewalt vor allem ein gewaltiger Aufschrei. Es ist ein wütendes Pamphlet, das den Leser im Rahmen der Comichandlung überrollt mit einer ganzen Reihe abstoßender, betroffen machender Fakten über ein religiöses Regime.

Am Stück kann man das kaum lesen. „Zahra’s Paradise“ ist ursprünglich in Blogform erschienen, kapitel- und seitenweise, zeitlich sehr dicht dran an den Protesten, um die es im Buch geht. Und da ist noch ein Unterschied zu „Persepolis“: wo Marjane Satrapi mit ihrem Namen für ihr Buch einstand, bevorzugen die Autoren von „Zahra’s Paradise“ die Anonymität.

Die Namen Amir und Khalil sind Pseudonyme, angeblich um die Familien der Comicmacher und die Macher selbst zu schützen. Überprüfen lässt sich das nicht. Das erinnert an Fälle wie den des angeblichen lesbischen Mädchens Amina, die während der syrischen Revolution aus Damaskus geblogt haben soll, tatsächlich aber ein us-amerikanischer männlicher Blogger war

Da zeigen sich die Schattenseiten der Web-Anonymität. Nichts, was in „Zahra’s Paradise“ an Fakten zu finden ist, war nicht so oder ähnlich bereits in anderen Quellen zu lesen. Wie authentisch ist demnach dieses Buch, das einen Gutteil seiner Anziehungskraft gerade aus seiner Authentizität zieht?

Die Anonymität der Macher wirft einen unangenehmen Schatten des Zweifels auf ein ansonsten interessantes und wichtiges Buch.

Ganz klar Fiktion ist dagegen „Die schwarze Seite“. Der Comicthriller beschäftigt sich mit den Massakern an palästiensischen Flüchtlingen im Libanon Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre. Dargestellt werden die Ereignisse anhand des Schicksals des Mädchens Afia, deren Familie bei einem dieser Massaker ums Leben kam.

Hier ist deutlich zu viel Fiktion. Statt ihre Geschichte an den realen Massakern entlang zu erzählen, erfinden die Autoren eines, so wie sie alle Namen erfinden. Noch dazu schlecht: der auf einem Buchcover zu lesende Name eines dissidenten Schriftstellers ist in Wirklichkeit der Name eines französischen Schauspielers.

So wird aus dem ernsten und reizvollen Thema eine eher oberflächliche Charade, die allenfalls durch die Erzählweise fasziniert. Geschildert wird Afias Schicksal nicht direkt, sondern aus der Sichtweise eines vorgeblichen Bestsellerautors, dessen Romanmanuskript in Comicform übersetzt wird. Der Autor ist, so die wenig überraschende Pointe, einer der Soldaten, die Afias Familie umgebracht haben.

Der beständige Wechsel zwischen den beiden Erzählweisen ist grafisch insbesondere durch die differierende Farbgebung und die zunehmend schnelleren Schritte reizvoll umgesetzt. Der Rest ist dann leider eher pathetische Soap und, weil es sich nicht traut, die Dinge bei ihren realen Namen zu nennen, ziemlich feige.

Zahra’s Paradise: Knesebeck, 272 S.; € 19,95
Die schwarze Seite: Salleck Publications, 100 S.; € 20,00

Der Rest vorm Fest:

01 – Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger
02 – King Aroo
03 – Comic Noir
04 – Habibi
05 – House of Mystery
06 – Alan Moores Neonomicon
07 – The Unwritten
08 – Frostfeuer
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5 Responses to “Der Rest vorm Fest (09): Zahra’s Paradise”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (10): Spirou says:

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  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (15): Der Tod des ultimativen Spider-Man says:

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  3. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (17): “Packeis” von Simon Schwartz says:

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  4. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (19): “Gastoon” und “Marsu Kids” says:

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  5. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Rest vorm Fest (21): Das Inferno! says:

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