Da war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: zwei Mal atemberaubendes von Isabel Kreitz.

Zwei Mal deutsche Geschichte von Isabel Kreitz. Zum einen ihr Schnelldurchlauf der Nachkriegszeit in „Deutschland. Ein Bilderbuch“. Zum anderen ihre Comicadaption „Emil und die Detektive“ nach Erich Kästner aus der Weimarer Republik. Zwei mehr als überzeugende, großartige Comics.

Die deutsche Nachkriegsgeschichte in 52 Seiten zusammenzufassen, ist natürlich ein irrwitziges Unterfangen. Genau so viel Platz hatte Isabel Kreitz allerdings für ihre Comicserie in der „Frankfurter Rundschau“.

Statt nun zu versuchen, eine durchgängige Erzählung zu entwickeln, was scheitern muss, beschränkt sie sich auf einzelne Schlaglichter aus der deutschen Historie. Das Ergebnis jener „Stroboskop-Historie“, die nur anreisst und andeutet, ist schlichtweg atemberaubend.

Isabel Kreitz bricht politische, land- und weltbewegende Ereignisse, aber auch fast vergessene Details durchgängig auf persönliche, nachvollziehbare Ebenen herunter. Einführung der D-Mark, Enttarnung von Günter Guillaume, erste Episode der „Sesamstraße“ – wichtige und weniger wichtige Ereignisse macht sie in winzigen Episoden zu nachvollziehbaren, vor allem nachfühlbaren Dingen.

Unterschwellig fliesst sogar eigenes Erleben mit ein. Es fällt nicht schwer, sich in dem kleinen Mädchen, das 1973 begeistert die „Sesamstraße“ schaut, Isabel Kreitz vorzustellen – da war die Zeichnerin sechs Jahre alt. Oder die Erinnerung an die erste Ausstrahlung der TV-Serie „Holocaust“ 1979 mit dem Jungen, der das hinter der Couch verdeckt schaut, als verschlüsselte Verarbeitung eigenen Erlebens zu sehen.

Aus diesem Persönlichen fliesst ein Teil der zwingenden Kraft der Comicseiten. Der Rest stammt aus Isabel Kreitz‘ überwältigendem Talent als Erzählerin und Zeichnerin. Die Episoden sind lustig, melancholisch, romantisch, sarkastisch, traurig und optimistisch. Ein emotionaler Parforceritt von eindrucksvoller, nachhaltiger Kraft.

Ganz anders und doch genauso gut ist Isabel Kreitz‘ Umsetzung von „Emil und die Detektive“ in Comicform. Es ist bereits ihre dritte Kästner-Adaption, und wie schon beim vorherigen Band ist ihr erneut eine Steigerung gelungen.

Erneut hält sie sich eng an den Text Kästners, vermeidet jede Romantisierung, wie sie die Verfilmungen der entsprechenden Kinderbücher oft aufweisen. Kästners naturalistische, ironische und schnelle Erzählweise passt ideal zu Kreitz‘ grafischem Duktus, der eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion des Berliner Hinterhoflebens der Zwischenkriegsjahre anstrebt.

Grafisch an den sanften Kreidestrich des Kästner-Illustrators Walter Trier angelehnt, geht sie über dessen Illustrationen hinaus, indem sie das ganze Berlin – und ein wenig bayrische Provinz – der Zwanzigerjahre zum Leben erweckt.

Am Plot des Buches ist ja dank Kästner sowieso nichts zu rütteln. Wie Kreitz ihn allerdings mit Witz und Atmosphäre auflädt, ist atemberaubend.

Deutschland. Ein Bilderbuch. Dumont, 112 S.; € 19,90
Emil und die Detektive. Cecilie von Dressler Verlag, 112 S.; € 17,95

Verwandte Artikel:

  • Gift/ Haarmann
  • Pünktchen & Anton
  • Der Rest vorm Fest:

    01 – Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger
    02 – King Aroo
    03 – Comic Noir
    04 – Habibi
    05 – House of Mystery
    06 – Alan Moores Neonomicon
    07 – The Unwritten
    08 – Frostfeuer
    09 – Zahra’s Paradise
    10 – Spirou
    11 – Johann & Pfiffikus
    12 – Kimba vs. Gon
    13 – Asja Wiegand & Ulf Salzmann
    14 – Asterios Polyp
    15 – Der Tod des ultimativen Spider-Man
    16 – „Jerusalem“ von Guy Delisle
    17 – „Packeis“ von Simon Schwartz
    18 – Ich habe Adolf Hitler getötet
    19 – „Gastoon“ und „Marsu Kids“
    20
    21
    22
    23
    24

    Comments are closed.