Es ist so eine Sache mit Sachcomics: erzählen sie zuviel, geht das meist zu Lasten der Faktizität. Betonen sie die Fakten zu sehr, werden sie unlesbar. Oder verlassen mindestens den Bereich des Comics und werden zum illustrierten Buch.

Die besten Sachcomics sind die, die sich diesem Dilemma gar nicht erst stellen. Joe Sacco, der in seinen Reportagecomics die Ergebnisse seiner Recherchen aus strikt subjektiver Sicht schildert. Oder Tardi, dessen Comics zum 1. Weltkrieg „Grabenkrieg“ und „Elender Krieg“ so viele erläuternde Fakten wie möglich in einen Textanhang schieben zugunsten einer niederschmetternden, grade durch die knappen Erläuterungen über den Bildern bewegenden Bilderflut.

Nun also der 17. Juni. Die Ereignisse dieses Tages, als sowjetische Panzer protestierende Arbeiter in der ganzen DDR überrollten, um eine mögliche Aufstandsbewegung gegen die sozialistische Diktatur im Keim zu ersticken, hatten lang nachhallende Wirkung.

Auch, vielleicht sogar weil sie nie Bestandteil der offiziellen Geschichtsschreibung der DDR waren.
Als die Protestbewegungen gegen den Staat 1989 in der DDR ruckartig anschwollen und schließlich zum Sturz des Regimes führten, war bei allem Widerstand die Angst dabei. Nicht nur vor einer „chinesischen Lösung“, wie sie zuvor auf dem Platz des Himmlichen Friedens in Peking brutal durchgeführt worden war. Sondern genauso vor einer Niederschlagung wie 1953.

Nichts davon ist Bestandteil des Buches, das, obwohl es so schon sehr schmal ist, gleich zwei Rahmenhandlungen hat. Da ist der russische General, der ein Päckchen überbringt. Das wiederum löst Erinnerungen aus an Eddie, einen westdeutschen Journalisten, der in Hennigsdorf Armin, einem der Anführer des Aufstandes vor Ort, nachrecherchiert.

Und damit erst, mit der Geschichte in der Geschichte in der Geschichte, gelangt der Leser beim Thema des Buches an. Das ist fein säuberlich, historisch wohl auch korrekt aufgedröselt. Aber es stellt sich eben die Frage: taugt es als Comic?

Auffällig ist schon, dass die Erzählung dann am besten funktioniert, wenn Text und Bild möglichst weit voneinander getrennt sind. In ganzseitigen Erklärtexten der Autoren einerseits und in den ganz- und doppelseitigen, fast textlosen Illustrationen von Kitty Kahane. Die hat zwar eine atemberaubende Vita als Illustratorin von Deutschland übergreifendem Rang.

Comics aber finden sich kaum in ihrer Backlist. Das gilt für alle an diesem Buch beteiligten. Es rächt sich da, wo wirklich eine Geschichte als Comic erzählt werden muss, nicht nur Historie wiedergegeben. Es fehlt an Erfahrung mit dem Medium, das mehr ist als illustrierter Text.

Armin und Eva, immerhin als zentrale Figuren im Untertitel genannt, bleiben so schablonenhaft wie der Reporter Eddie, der mit langem Mantel und Zigarette den Ereignissen nachrecherchiert. Sie handeln nicht, sondern laufen historische Stationen ab. Zu keinem Zeitpunkt wird ihr Handeln menschlich begreifbar.

Wozu dann überhaupt handelnde Figuren? Wie Kahanes zittrige, diesige Stadtansichten von Ostberlin, ihre mitunter gewollt übernaive Menschenzeichnung in den übergroßen Panels beweisen, entfalten die Bilder auch ohne drunterkonstruierte Geschichte ihre Kraft. Der Versuch, die Bilder in ein erzählerisches Korsett zu zwängen, engt sie letztlich nur ein.

Als illustriertes Buch ist „17. Juni“ sicherlich recht hübsch. Als Comic scheitert es am Dilemma der Sachcomics, indem es dieses nicht aufzulösen versucht, sondern mitten rein tritt.

Metrolit, 112 S.; € 15,99

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