Huckleberry Finn aus Halle an der Saale: Olivie Vieweg verlegt Mark Twains klassischen Roman in die ostdeutsche Einöde. Und in „Endzeit“ lässt sie ausgerechnet Thüringen von einer Zombieinvasion überrollen.

Eigentlich ist doch noch alles wie immer: die scheußlich engen blaubepelzten Regionalzüge fahren zwischen Jena und Weimar, man trifft sich, kommt ins Reden…

Natürlich, der Comic heisst „Endzeit“, also wird an der scheinbaren Normalität irgendwas nicht stimmen. Und richtig, die zwei jungen Frauen in Olivia Viewegs Erzählung – die eine mit Kartoffelsaat unterwegs, die andere macht was mit Medien – leben in der Zombie-Apokalypse. Drei Jahre permanenter Weltuntergang, leben in Bunkern und hinter abgezäunten Sicherheitsarealen.

Es ist die vielleicht irritierendste Eigenart des Menschen, sich mit allem einzurichten, auch mit dem Ende der Zivilisation. Die „Endzeit“-Heldinnen haben sich eingerichtet im Leben zwischen Untoten. Alles an diesem Weltuntergang ist unspektakulär normal geworden, nur dass im freien Land zwischen den Städten die Untoten hausen.

Wie Vieweg die darstellt, kommt vertraut vor. Die kriechenden und hinter Gittern sabbernden Zombies scheinen sehr direkt aus Kirkmans die aktuelle Zombiewelle auslösender Comicserie „The Walking Dead“ übernommen.

Sie verpflanzt sie in die Thüringer Einöde, die unter der Sonnenglast besonders bedrückend wirkt. Das staubtrockene Land, in ganzseitigen Panel dargestellt, ist die eigentliche Attraktion des Comics, ästhetisch wie narrativ. Manchmal gelingen Vieweg so trostlos schöne Landschaftsaufnahmen, das man ausrufen möchte: „Die Menschen sind weg? Na endlich!“

Überhaupt, Landschaft. Die spielt auch eine zentrale Rolle in ihrer jüngst bei Suhrkamp erschienen Adaption von Mark Twains „Huckleberry Finn“. Vieweg verpflanzt den Roman aus dem Mississippi-Delta während der amerikanischen Sklavenhalterzeit in die Neuzeit und nach Halle an der Saale. Das ist in seiner nüchternen und trockenen Natur ganz Gegenthese zum schwülen amerikanischen Süden.

Huck Finn ist hier Waisenkind unter den Fittichen eines Hallenser Straßenkind-Projektes. Nigger-Jim wird zur weiblichen Jin, der (mutmaßlich) minderjährigen Prostituierten, die vor ihrem Zuhälter wegrennt. Beide wollen mit dem Floß die Saale runter, bis zur Elbe und nach Hamburg, wo Jin Verwandte hat.

Nach Norden, wie bei Twain. Aber erstmal bleibt man tief im Osten, zwischen Halle und Wettin. Und wieder spielt die Landschaft, hier die Flußlandschaft der Saale, die eigentliche Hauptrolle. Huck und Jin schaukeln sich einen der langweiligsten Flüsse Deutschlands runter, Olivia Vieweg inszeniert das als angsterregende Einöde.

Aber nicht deshalb kommt „Huck Finn“ als besserer der beiden Comics von Olivia Vieweg daher. Twains Roman gilt ganz zu Recht als eine der größten Errungenschaften der amerikanischen Kultur. Naturgemäß sind die Dialoge, die sich eng an die Vorlage halten, hier gelungener als die manchmal doch etwas pappig wirkenden „Endzeit“-Gespräche („Wir wollen ein Stück Vernetzung zurückgewinnen“).

Es ist ein großartig gemachtes Erzählbett, mit komplexer, glaubwürdiger Motivation der beiden Hauptfiguren und einem wenn auch nicht so kraftvoll wie der Mississippi treibenden Handlungsfluß, das Olivia Vieweg vor allem mit ihren lyrischen Naturbildern, genauso aber mit realistischer gegenwärtiger Figurenzeichnung ausfüllt. Körpersprache und Kleidung der Protagonisten sind im kraftvoll vereinfachten Strich von Vieweg manchmal komisch, immer aber realistisch, deutlich vom Manga beeinflusst und doch im Hier und Jetzt anzusiedeln.

Nichts gegen „Endzeit“, es ist ein sympathischer kleiner Comic. Aber „Huck Finn“ zeigt doch, wie kraftvoll und stark Olivie Vieweg erzählen kann und welches Potential noch in ihr steckt.


Endzeit: Schwarzer Turm, 76 S.; € 16,80

Huck Finn: Suhrkamp, 144 S.; € 19,99

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One Response to “Aktuelle Comicrezension (231): 2 x Olivia Vieweg”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Der große Hass der kleinen Antoinette says:

    […] kippen droht: die beiden jungen Mädchen, die sich durch eine Zombielandschaft kämpfen müssen, in “Endzeit”, die feminisierte Jin in “Huck Finn”, oder eben die titelgebende Antoinette in diesem […]