The Horror! Zwei aktuelle Horrormangas verknüpfen wohlüberlegt und voller verblüffender Querverweise westliche Traditionen und japanisches Zivilisationsverständnis. Und irre spannend sind sie auch.

Die Überlebensfähigkeit des Manga liegt darin, dass er wie keine andere Comickultur Ideen, Sujets, Themen und Motive von praktisch überall her aufnehmen und zu eigenen Stoffen verarbeiten kann.

Das liegt schon im Ursprung der Kultur begründet, in Osamu Tezukas erstem Manga „Die neue Schatzinsel“, der Motive aus Stevensons Roman aktualisierte und mit grafischen Elementen aus Disney- und Fleischer-Trickfilmen vermengte.

Ihren aktuellen Höhepunkt fand diese Methodik in Naoki Urasawas Mangas, vor allem in „20th Century Boys“ und „Billy Bat“, die nicht nur die halbe Popkultur zitieren, sondern auch den Manga an sich und, in einer hinverdrehenden Schleife, sich selbst.

Es sollte, darf also nicht überraschen, wenn die erste Assoziation bei der Lektüre von „Uzumaki“ lautet: van Gogh. Tatsächlich ist jener Anblick des spiralförmig gekräuselten Himmels so überdeutlich durch die sich in permanentem Aufruhr befindlichen Elemente der Natur in van Goghs Spätwerk inspiriert, dass hier ein erstaunlicher Zufall am Werk sein müsste, wenn es sich nicht um ein Zitat handelt.

Denn in Aufruhr sind die Elemente auch in „Uzumaki“. Alles, vom Wasserlauf über den Himmel bis zur Anordnung der Körner im Kornsack oder dem Ruhen der Schlangen im Gras dreht sich spirfalförmig. Die Natur – im wahrsten Sinn des Wortes – dreht durch.

Oder doch nicht? „Uzumaki“ handelt vom Wahn, Dinge zu sehen, die womöglich nicht echt sind, und treibt seine Protagonisten sukzessive in den Irrsinn. In seinen exzessiveren Momenten erinnert die Grafik des Bandes an den japanischen Ekelaltmeister Hideshi Hino, bleibt aber mehrheitlich in noch erträglichen Maßen.

„Uzumaki“ ist eine beklemmende Studie zur Psychose und dazu, wie ansteckend Wahnsinn sein kann. Was für van Gogh gut war, kann für Manga nicht schlecht sein.

Und woran erinnert uns „Sprite“? Drei Schulmädchen und eine Handvoll ziemlich vom Realitätssinn verlassener Erwachsener sitzen nach einem seltsamen Beben im obersten Stock eines Luxushochhauses fest.

Nein, keine Assoziation mit bekannten Katastrophenthrillern, wo die hoch oben gestrandeten gerettet werden müssen. Eine schwarze Brühe umschwappt das Haus, jede Berührung ist tödlich, und stockdunkel ist es sowieso.

Die Neurose vom möglichen Ende der Zivilisation, die die japanische Kultur seit Hiroshima und Nagasaki verfolgt, findet hier ihre Darstellung nicht in einer Bombe oder Katastrophe, sondern in Stille und Dunkelheit. Was eigentlich viel treffender ist.

Die eigenwillige Robinsonade mitten in Kobe, einer der bevölkertsten Städte Japans, greift Elemente und Atmosphäre von „Lost“ wieder auf – erst recht mit der Einführung einer Gruppe uralter Kinder, die auf dem Dach des umschwemmten Hauses leben, und der eigenwilligen Zeitsprünge, denen die Figuren nach Rückgang der Flut unterliegen.

Das hier keine Insel, sondern das Dach eines Hochhauses Handlungsort einer Robinsonade an einem plötzlich sehr fremden, zivilisationsverlassenem Ort ist, soll uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rückblenden und die Idee, dass die Ursprünge für gegenwärtiges Geschehen offenbar irgendwo in Vergangenheit und Zukunft liegen, ein angenehm hirnverknautschender, vor allem aber sehr spannender Trip sind.

Junji Ito: Uzumaki – Spiral into Horror, Carlsen Manga, 208 S., € 7,95
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Yugo Ishikawa: Sprite, Carlsen Manga, 208 S., €7,95
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