Disney-Hardcover allerorten: Gerd Syllwasschi erschlägt den Leser mit einem Kilo „Alles über Micky Maus“, Romano Scarpa und Giorgio Cavazzano werden aus dem „Lustigen Taschenbuch“ ins Hardcoverprogramm des Verlags hochgeadelt.

Gerd Syllwasschi (Hrsg.)
Alles über Micky Maus

„Solchen Burschen wie Pancho kann man nicht über den Weg trauen“, sagt der Herr Maus, als er auf der Ranch angekommen ist und versucht, die Bande von Pferdedieben zu stellen.

Er sagt nicht, was für Burschen er meint. Aber die Erzählung gibt einen klaren Hinweis. Pancho, tatsächlich der Schurke im Stück, ist der einzige Mexikaner in der Geschichte.

Zwischen den Zeilen, oder manchmal ganz blatant oben auf läßt sich einiges entdecken, selbst bei den letztlich uninteressanten „Micky Maus“-Geschichten von Paul Murry. Etwa auch, dass die Mexikaner in der Übersetzung hier von Erika Fucks ostpreußischen Dialekt reden.

Klarer Rassismus wie obiger ist dagegen natürlich die Ausnahme und sicher dem Zeitgeist der Fünfzigerjahre geschuldet, als auch Schwarze noch Neger oder Nigger waren. Es ist durchaus gut, dass diese Geschichte unverändert im vorliegenden Buch erscheint, das sich immerhin zur Aufgabe gestellt hat, die Comichistorie von Micky Maus abzuarbeiten.

„Vom Dreikäsehoch zum Meisterdetektiv“ heißt der Band entsprechend, umgekehrt wäre fast sinnvoller gewesen. Schließlich hat sich die Maus-Figur, in den Dreissigerjahren unter Floyd Gottfredson wunderbare Abenteuer- und Detektivgestalt, in den vergangenen Jahrzehnten eher zum uninteressanten Helden ohne Profil zurückentwickelt.

Sylwasschi arbeitet sich daran mit einer Auswahl der üblichen Verdächtigen ab, neben Murry und Gottfredson sind das vor allem Italiener wie Scarpa, die sich nach dem zweiten Weltkrieg deutlich von Gottfredson beeinflußt zeigten, weil dessen „Micky Maus“-Strips zu den wenigen publizierten ausländischen Comics im faschistischen Italien gehörten.

Hier ließen sich wunderbare und interessante Linien internationaler Beeinflussung aufziehen. Das will das Buch aber vermutlich gar nicht. Auch die obige Pferdedieb-Geschichte dürfte bei aller politischen Brisanz eher zufällig in den Band gerutscht sein, der das Hauptaugenmerk auf eine Auswahl unterhaltender Episoden legt.

Das glückt ihm, ja, nicht immer ganz, doch größtenteils. Man könnte meckern, dass zu wenig Gottfredon enhalten ist und zu viel Murry, zu wenig Scarpa und zu viel der weniger interessanten Italiener. Sylwasschis begleitende Texte hätten ein kleines Drüberbügeln mehr hier und da verdient (er verwechselt etwa „Kumpel“ und „Kumpane“).

Entdeckungen finden so dann nur am Rande statt, aber lassen wir einmal die hohen Ansprüche des Comicarchäologen beiseite, ist das ein durchaus schöner Band.

Egmont Comic Collection, 416 S.; € 29,95

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Romano Scarpa
Die besten Geschichten

Barks als Meister hat uns geprägt, die italienischen Disney-Zeichner aber sind durch ihre Omnipräsenz die eigentlichen Herren der Maus- und Entencomics. Ehapas Reihe der „besten Geschichten“, inoffiziell wohl die Fortführung der „Hall of Fame“ nimmt das endlich zur Kenntnis.

Scarpa ist weniger von Barks geprägt und mehr von Gottfredson, der in Italien schon vor den Kriegsjahren publiziert wurde. In seinen frühen Arbeiten, von denen sich in diesem Band leider nur eine findet, zeigt das deutlich: nicht nur ist das Abenteuergarn lang und abwechslungsreich gestrickt. Auch grafisch sind in Gestik und Mimik der Figuren, in Perspektive und Panelfolge die Reminiszenzen an den Meister der Micky-Maus-Comics Gottfredson nicht zu übersehen.

Es klafft eine Lücke zwischen dieser einen Episode des jungen Scarpa aus den Fünfzigerjahren und allen anderen Geschichten des Bandes, die erst nach 1982 publiziert wurden. Liest man diesen Band mit der Lücke wie er ist, muss wohl nicht nur von einer drastischen künstlerischen Veränderung gesprochen werden, sondern von einem Verfall.

Zu keinem Zeitpunkt in keiner der übrigen Geschichten des Buches ist Scarpa so interessant wie in der ersten. Es ist das sattsam bekannte Slapstick-Zeug aus müden, notdürftig verknoteten Plots, von denen die wie am Fließband erzeugten italienischen Comics leben. Nicht weil deren Autoren und Zeichner nichts taugen, sondern weil Fließbandware nun einmal keine Maßschneiderei ist.

Es gibt Gold dazwischen. Es gibt gute und sehr gute Disney-Comics aus Italien. Auch solche von Scarpa. Dieser Band scheitert nur daran, diese bis auf eine zu präsentieren.

Egmont Comic Collection, 192 S.; € 22,00

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Giorgio Cavazzano
Die besten Geschichten

Cavazzano ist mitverantwortlich für die Prägung des moderneren Stils der Disney-Comics, der sich vor allem durch eine noch stärkere Reduktion der Bildelemente und einen dynamischeren, in der Figurengestaltung kaugummiartigeren Stil auszeichnet: alles dehnt und zerrt sich in der Bewegung.

Immerhin ist dieser Stil prägend für die Gestaltung der italienischen Disney-Comics mindestens seit den Neunzigerjahren, Cavazzanos Rolle als grafischer Ideengeber mithin gigantisch.

Aber das macht noch keinen guten Comicautor. Vielleicht scheitert es wieder einmal an der Auswahl. Zwei der fünf in diesem gar nicht so preiswerten Band veröffentlichten Geschichten erscheinen erstmals auf deutsch. Wie wahrscheinlich ist es, dass die besten Cavazzano-Comics noch nie auf deutsch erschienen sind, angesichts der gewaltigen monatlichen Produktion hierzulande?

Oder wurde hier den Sammlern ein Zugeständnis gemacht, die lieber unveröffentlichtes Material sehen (und kaufen) wollen?

Jedenfalls sind die Geschichten flau, gelegentlich mühsam zu Ende zu lesen, ja, an den haaren herbeikonstruiert. Was aber vor allem die Anerkennung schwermacht: grade weil Cavazzano so viele Zeichner geprägt hat, grade weil sein Stil so omnipräsent ist, fällt es schwer, ihn grafisch herausragen zu sehen. Der Fluch der eigenen Kunst, die so gut ist, dass sie von jedem imitiert wird: sie erstickt den Originator. (Gibt’s das Wort?)

Was bleibt, ist keine Sammlung des Besten, sondern ein überteuertes Lustiges Taschenbuch. Schade.

Egmont Comic Collection, 192 S.; € 22,00

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