Nicht nur amerikanische und japanische Comics werden verfilmt. Mit „Schneekreuzer“ und „Blau ist eine warme Farbe“ liegen zwei Graphic Novels aus Frankreich vor, die Vorlage zu aktuellen Kinofilmen sind.

Als 1978 das französische Comicmagazin „A Suivre“ startete, löste es eine Revolution aus, die in den USA erst fünf Jahre später und in Deutschland womöglich erst jetzt ankommt.

„A Suivre“ bot die Möglichkeit, aus dem formatierten Umfang frankobelgischer Alben auszubrechen und Langerzählungen von beliebigem Umfang, auch in kontroverser Form und mit kontroversen Inhalten zu gestalten. Hugo Pratt, Tardi und Francois Burgeon etwa nutzten diese Gelegenheit.

Und Jean-Marc Rochette. Dessen „Schneekreuzer“ war, als er ab 1982 in Fortsetzungen in „A Suivre“ erschien, aufsehenerregend wegen seines radikalen Konzepts: ein endloser Zug, der über eine vollständig vereiste Erde rast, enthält die letzten Überlebenden der Menschheit.

Das Szenario stammte von Jaques Lob, auch der hierzulande kaum bekannt (zuletzt erschienen zwei Alben ->“Jerry Spring“ von ihm auf deutsch), der sich vom simplen Unterhaltungsautor in den Sechzigerjahren zum Comicrevoluzzer in den Achtzigern gemausert hatte.

Der Plot von „Schneekreuzer“ fasst nahezu alle Ängste der Achtzigerjahre zusammen: atomarer Winter, sozialer Abstieg (man erinnere sich an den radikalen Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen durch Reagan und Thatcher zur Erscheinungszeit der Serie), Furcht vor Militärdiktatur und individueller Repression.

Aus heutiger Sicht wirkt die Erzählung beinahe behäbig. Die Odyssee des Gefangen Proloff vom hinteren, sozial untersten Ende des Zuges bis zu den Nobel- und Herrschaftsquartieren vorn läuft eher ruhig, ohne größere Konflikte ab.

„Schneekreuzer“ setzt nicht auf exploitative Effekte. Zentral ist die Atmosphäre von Verlassensein und Eingesperrtheit, Gefangenschaft in der klaustrophobischen Umwelt des scheinbar endlosen Zuges. Das natürlich metaphorische Miniatursoziotop wird Schritt für Schritt erforscht.

Die Unaufgeregtheit des Bandes ist seine Stärke. Rochettes Zeichnungen, von Bildern aus Konzentrationslagern, der Abbildung sowjetischer und deutscher Militärs sichtlich geprägt, sind assoziativ wirkungsvoll, führen die Science Fiction des Bandes dorthin, wo uns letztlich jede gute Science Fiction hinführt: in die Gegenwart und den Teil der Geschichte, der sie geprägt hat.

Zwanzig Jahre später ließ Rochette zwei Fortsetzungen folgen, diesmal mit dem Szenaristen Benjamin Legrand. Sie sind handlungstechnisch ausgefeilter, weisen aber nicht die direkte emotionale Eindringlichkeit des ersten Bandes auf. Vielleicht auch, einfach, weil nach dem bitteren Ende des ersten Bandes jede Fortsetzung gewollt, unecht erscheinen muss.

Die ganze, immerhin 250 Seiten lange Erzählung liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor, eine seltsam lange ungehobene Perle des frankobelgischen Comics, und mutmaßlich nur aufgrund der demnächst startenden Verfilmung.

In Cannes wurde die Verfilmung von „Blau ist eine warme Farbe“ hochgelobt – ausgehend von der Vorlage lässt sich das Lob nicht nachvollziehen. Julie Marohs Debüt ist unterm Strich eine Neuschreibung des alten Schmachtfetzens „Love Story“ mit lesbischen Protagonisten.

Ist das wichtig oder neu? Die Darstellung lesbischen Alltags im Comic finden wir seit Alison Bechdels frühen Comicstrips und den Aktivitäten des Wimmen’s-Comix-Kollektivs in den Achtzigerjahren im Comic.

Und da schon besser. Julie Maroh, selber lesbisch, setzt auf einen sehr simplen Handlungsverlauf. Clementine, eine Schülerin, und Emma, eine Studentin, die lange nicht zueinander finden können, weil Freunde, Familie, Umfeld im Weg stehen, finden sich am Ende doch und ganz am Ende nicht mehr.

Das ist weniger emotional, obwohl wenig im Leben so grundsätzlich umwälzend ist wie ein Coming-out, sondern mehr mit dem Holzhammer erzählt. Trotz des Platzes, den sich die Erzählung nimmt, werden die iguren nur angerissen. Die Darstellung unerfüllter pubertärer Liebe ist klischeehaft, kitschig, undifferenziert. Mehrheitlich scheint es Maroh darum gegangen zu sein, Figuren zu zeichnen, die sich verliebte oder verzweifelte Blicke zuwerfen. Sie leiden, aber viel mehr tun sie nicht.

Die Übersetzung mag damit zu tun haben. „Man muss schon echt schräg sein, wenn man seinen Abend in solchen Kaschemmen verbringt“, motzt eine Schülerin Clementine an. „Das sind doch kranke Perverse. Und du bringst eine fiese Lesbe her!“

Mag es Unterschiede zwischen deutschen und französischen Gymnasien geben – die Vorstellung, dass Schüler auf dem Schulhof so gestelzt reden, ist kaum zu glauben. Es steckt kein Leben und keine Realität in diesen Dialogen, die Atmosphäre ist so künstlich wie in einem Bronté-Roman.

Auch die penetrante Selbstbeschreibung der Lesben als „Homos“, hierzulande eher als Schimpfwort konnotiert, irritiert.

Das grafische Pathos wird durch das möglicherweise erst in der deutschen Übersetzung entstandenes Textpathos verstärkt. Unterm Strich bleibt ein simpler, stellenweise unerträglich süßlicher Schmachtfetzen, der der Darstellung lesbischen Alltags im Comic nur insoweit hilft, dass er klarmacht, dass auch Lesben manchmal auf Kitsch stehen.

Wer hätte daran gezweifelt?

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