Literaturadaptionen sind ein veritables Genre. In letzter Zeit scheint ihr Hauptzweck freilich zu sein, über den größeren Namen der bekannten Vorlage das Tor in den Buchhandel aufzustoßen. Womöglich mit Gewinn für den Verlag. Nicht immer aber mit Gewinn für den Comic, wie eine Adaption von Camus‘ „Fremden“ zeigt.

Dass grundsätzlich ist an Literaturadaptionen nichts verkehrt ist, steht außer Frage. Die Übertragung einer Geschichte in ein anderes Medium kann neue Aspekte zutage fördern oder zumindest neue Perspektiven ermöglichen. Wir haben zuletzt eine Vielzahl herausragender Literaturadaptionen erlebt, von so unterschiedlichen Leuten wie Nicolas Mahler, Darwyn Cooke oder Olivia Vieweg.

Und dennoch beschleicht mich das Gefühl, das zunehmend die Literaturadaption nur als Abkürzung in den Buchhandel verwendet wird: mittels eines bekannten Stoffes soll ein semi-geliebtes Medium, der Comic, Presse und Handel nahegebracht werden.

Solche Adaptionen sind dann sehr zielgerichtet, leicht erkennbar an einer doch etwas zu dick aufgetragenen Gefälligkeit und an einem Kleben an der Vorlage, die jede neue Perspektive ausschließt. Die Vorlage einfach runterzuerzählen, weil man eben die Rechte an ihr hat, war noch nie eine gute Strategie. Mit solchen Titel reduziert sich der Comic zum Merchandise, zum Begleitbuch zum Buch. Das seine Verkaufszahlen daher generiert, dass die Vorlage erfolgreich ist.

Jene überformatige Comicversion von Camus‘ „Fremden“ ist ein gutes Beispiel dafür. Für sich alleinstehend wäre es sogar ein sehr guter Comic: eine Geschichte von gelebter Langeweile, Schuld und Nichtsühne als hellerlichter Crime Noir, sehr hübsch großformatig in einem knackig reduzierten Strich umgesetzt.

Atmosphärisch, das Ganze. Ferrandez arbeitet die Stationen der Handlung der Vorlage ab: der Tod von Meursaults Mutter, dessen krummen Geschäfte, sein Mord, sein Gang ins Gefängnis.

Das ist alles, wie es im Buch steht. Die Handlung freilich ist im „Fremden“ nur Mittel zum Zweck. Tragend an der Vorlage ist deren knochentrockene, nüchterne Sprache, mit der der Ich-Erzähler sich sogar von sich selbst distanziert. Der Leser steht da und ist dem Ich-Erzähler fremd, so wie der Ich-Erzähler der Welt.

Der Comic ist zwangsweise ein Objektivität vortäuschendes Medium. Es gibt in ihm keinen wahren Ich-Erzähler, weil jedes Bild mindestens die Illusion einer objektiven Realität erzeugt, zu der der Ich-Erzähler ebenso wie der Leser im Bezug steht und zu der der Erzähler nur den Kommentar liefert. Aus einer Ebene im Buch werden so im Comic mindestens zwei: was wir sehen und was wir erzählt bekommen.

Und zu sehen bekommen wir hier alles. Beinahe dokumentarisch fängt Ferrandez das Leben im Algier der Dreissigerjahre ein. Was da noch nett ist, wird unangenehm beim entscheidenden Wendepunkt der Erzählung. Meursaults Mord, im Roman nüchtern in zwei Sätzen abgehandelt, wird grafisch zu zwei große Seiten. Jeder Pistolenschuß bekommt ein eigenes Panel im Panel, mit lautem Soundword.

Trocken ist das nicht. Fremd auch nicht. Wir kennen es aus dem Actioncomic.

Und mehr noch: sollen wir alles sehen, was Ferrandez so getreulich zeichnet? Zentrales Element von Camus‘ Vorlage ist das Nichtverstehen des Geschehens. Die dort erzählte Welt ist ganz die Welt des Erzählers. Objektivität existiert in ihr nicht.

Man müsste Camus‘ Vorlage vermutlich komplett inhaltlich aufbrechen, auch grafisch gegen den Strich bürsten, um dieser Radikalität gerecht zu werden. Es würde mehr Mut erfordern, Camus so zu adaptieren. Das dieser Mut nicht aufgebracht wird, ist klarstes Indiz, dass wir es hier nur mit einem Begleitbuch zu tun haben.

Jaboby & Stuart, 136 S.; € 24,00

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