„Entenhausen – Weltstadt an der Gumpe“: die Comicanthologie will uns eine Stadt nahebringen, deren ureigenster Charakter die Uneindeutigkeit ist. Darum enthält der Band nicht nur einen, sondern gleich zwei Stadtpläne.

Das Besondere an Entenhausen war seit je seine fluide Topologie. Nicht nur, was die Lage der markanten Gebäude, hier vor allem des Geldspeichers, und den Verlauf von Flüßen und Straßen angeht.

Sondern auch, was den Charakter der Stadt betrifft. Entenhausen ist, folgt man den Berichten in den Comics, ein Zentrum von Schwerindustrie und Medienwirtschaft, eine politisch agile Großstadt mit Kleinstadtcharme, eine Hafenstadt mit ruralem Charakter, eine altmodische Stadt mit modernem Hochgebäudebau.

Die Eigenheit Entenhausens, seinen Charakter offenbar je nach Betrachter zu ändern, macht die Erstellung eines Plans der Stadt nicht nur unmöglich, sondern obsolet. Dennoch finden sich gleich zwei Pläne in diesem Buch, profunder Beleg des Problems: zum einen eine in den Achtziger- oder frühen Neunzigerjahren für das Micky-Maus-Magazin erstellte Karte, die eher willkürlich eine markante Plätze an beliebigem Ort darstellt und der Stadt insgesamt Größe und Charakter einer altmodischen Siedlerstadt gibt.

Zum anderen die von Jürgen Wollina auf Basis barksscher Quellen vor einigen Jahren erstellte Karte, die Entenhausen als urbanen Moloch charakterisiert, von gigantischem Umfang, um Platz zu finden für all jene Besonderheiten der Stadt, wie sie berichtet sind.

Der Tourist wäre mit beiden Karten aufgeschmissen. Entenhausen verweigert sich der Kartografierung, und zwar aus gutem Grund: die Stadt will immer wieder neu entdeckt werden. Ihre extreme Wandelbarkeit, nein besser, ihre beinahe quantenphysikalische Uneindeutigkeit, hat sich auf die Einstellung ihrer Bürger übertragen, die hunderte von Berufen haben und in mehreren davon sogar Meister ihres Fachs sein und trotzdem am nächsten Tag vergessen sein können. So wie die Stadt sich permanent neu darstellt und erfindet, müssen auch die Entenhausener Bürger sich immer wieder neu erfinden.

Nur in Ausnahmefällen, etwa im Fall des Geldspeichers und des Denkmals von Emil Erpel gelingt es den Bürgern, eine städtische Einrichtung von Bestand zu schaffen – auffälligerweise ist in beiden Fällen eine große Menge Geld beteiligt.

Darüber hinaus unterliegen zum Beispiel Rathaus, Stadion, Wohnhäuser permanentem architektonischem Wandel (ein Glücksfall für die Ansichtskartenindustrie). Jede Darstellung Entenhausens und seiner Bürger kann daher also nur Momentaufnahme sein – das Stadtporträt „Entenhausen – Weltstadt an der Gumpe“ also nur einer von potentiell unendlich vielen Beiträgen über das Leben in dieser Stadt.

Das wäre bei der Lektüre zu berücksichtigen, die häufig das Privatleben einzelner Bürger in den Vordergrund stellt und trotz aller Selbsthehauptung, etwas über das Leben in Entenhausen zu erzählen, notwendigerweise nur Stückwerk ist. Als solches freilich solides Stückwerk, oder wenn man es anders formulieren will: ein solider Ziegel aus einem deutlich größeren Gebäude.

Carl Barks, Don Rosa, William van Horn u.a.: Entenhausen – Weltstadt an der Gumpe
Egmont Comic Collection, 416 S.; € 29,95

One Response to “Die Stadt, die es nicht gibt”

  1. Krem says:

    Egal, wo Entenhausen nun wirklich liegt – diese Stadt ist eindeutig nichts für Anatidaephobie-Geplagte. Da ich selbst an dieser Angststörung leide, ist dieses Comic wie auch die Donald-Duck-Hefte nichts für mich.