Scott McClouds Ruhm eilt ihm voraus: als der Mensch, der uns die Comics erklärt hat. Seine eigenen Comics sind dagegen oft schwierig, wie nicht zuletzt sein jüngster Comicroman „Der Bildhauer“ beweist.

Es ist die Tragik von Scott McCloud, dass er wohl auf ewig der Autor sein wird, der uns die Comics erklärt hat. Sein „Comics richtig lesen“ gehört zu den wenigen Comics, die seit Erscheinen vor bald einem Vierteljahrhundert durchgängig lieferbar sind. Mit Abstrichen gilt das auch für die beiden Folgewerke „Comics neu erfinden“ und „Comics machen“, die zumindest mehrere Nachauflagen erfahren haben. (Das inhaltlich schon kurz nach Erscheinen veraltete „Comics neu erfinden“, das sich mit dem Einfluss des Internet auf das Medium beschäftigte, rutscht allerdings grade aus dem Fokus: nicht einmal der deutsche Verlag bewirbt oder nennt es noch.)

Darüber hinaus sind McClouds Werke hierzulande kaum bekannt, zum Teil nicht einmal auf deutsch erschienen. Faustregel: je spassiger seine Sachen sind, desto unbekannter sind sie. Weder die umfangreiche Manga-&-Superhelden-Hommage „Zot!“ – immerhin 36 Hefte – noch die obskuren „New Adventures of Abraham Lincoln“ liegen in deutscher Übersetzung vor. Grade mal einige seiner „Superman“-Hefte haben, praktisch unbemerkt, im vergangenen Jahr eine Neuauflage bei Panini erfahren.

Das erklärt die Aufmerksamkeit, die dem „Bildhauer“ auf dem deutschen Buchmarkt, im deutschen Feuilleton allgemein zuteil wird. Anders als im Ursprungsland USA ist es eben nicht nur der neue McCloud, an dem der Zeichner sechs Jahre gesessen hat. Sondern es ist der andere McCloud, an dem man bemessen kann, ob er den Ideen und Ansprüchen gerecht wird, die er in „Comics richtig lesen“ propagiert hat – mangels Vergleichsmaßstab der einzige andere McCloud. Wird er seinen Ansprüchen gerecht?

Kurze Antwort: Ja. Und nein. Es ist das Problem des Autors, im letzten Vierteljahrhundert fast ausschließlich von sich serzählt zu haben. In seinen comictheoretischen Werken rückte er sich selbst als Kommentator wie Akteur ins Zentrum, als Möglichkeit zur ironischen Brechung und als stilisiertes Selbstportrait.

Es fällt nicht schwer, in der Hauptfigur des „Bildhauers“ mit dem zackigen schwarzen Seitenscheitel jenen McCloud zu erkennen, der in „Comics richtig lesen“ auftritt, hier gleichwohl deutlich naturalistischer gezeichnet. Jene Figur, mit dem ebenso doppeldeutig nichtssagenden Namen David Smith (ein Allerweltsname, gleichzeitig Verweis auf den bekannten Bildhauer gleichen Namens) ist in jeder Hinsicht gescheitert: die Theorie beherrscht er, aber seine Kunst gilt nichts.

Wir erleben einen Selbstfindungsprozeß. David Smith bekommt die Chance, noch einmal Kunst machen zu können. Er kann die Bilder aus seinem Kopf direkt in das Material übertragen. Er kann Stein in jede beliebige Form bringen. Dafür gibt er sein Leben: ihm bleiben zweihundert Tage, ehe er unweigerlich stirbt.

Mit dem Beginn des faustischen Pakts verschwimmen die Metaphern. Eine der beeindruckendsten Seiten des Buches zeigt David in seinem Studio, das vollgepfropft ist mit der Kunst, die aus ihm herausquillt. Es ist größtenteils prätentiöser Mist. Technisch herausragend, wenig originell.

Verwoben hat McCloud die Erzählung der künstlerischen Selbstfindung mit einer Liebesgeschichte. Die Schauspielerin Meg, die als Muse und unerreichbares Ieal David vor dem Absturz rettet, ist McClouds eigener Frau nachempfunden – so hat es McCloud auf seiner kurzen Deutschland-Tour erzählt und mit Fotos bewiesen.

Erneut erzählt McCloud mit dem „Bildhauer“ also von sich selbst. Augenzwinkernd? Selbstkritisch? Das muss der Leser entscheiden, der Autor hält sich ambivalent zurück.

Das große Problem des Buches ist nicht seine vielleicht solipsistische, vielleicht selbstkasteiende Anlage. „Der Bildhauer“, der von Emotionen – Liebe und Kunst – handeln soll, hat selbst keine. McClouds Verhältnis zu dem, was er schildert, ist offensichtlich rein analytischer Art. Die Liebesgeschichte von David und Meg wirkt wie auf dem Reißbrett entworfen. Weder die Flirts der beiden, noch die Momente, in denen sie sich einander öffnen, sind in irgendeiner Weise emotional berührend. Sie funktioniert, weil wir wissen, dass sie funktionieren muss, um das Buch zusammenzuhalten und die Erzählung voranzubringen. (Die stellenweise pappige Übersetzung der deutschen Ausgabe tut ein Übriges, den Eindruck zu verstärken.)

Das gilt ähnlich für die Grafik, die, mit Sachverstand, aber kaltem Herzen umgesetzt, vor allem ein Zitatgewebe ist. Die Szenen in der U-Bahn, ja überhaupt alle Massenszenen mit architektonischem Hintergrund und Davids überfülltes Atelier hat McCloud von Hergé. Den Regen hat er von Eric Drooker. Davids Fähigkeit, jedes Objekt in gewünschte Form zu bringen, ist eine Superheldenfähigkeit, bei der Kirby grafisch grüßen läßt. Megs ersten Auftritt im Engelskostüm hat McCloud vom Manga.

Hinter den Zitaten verschwindet das Original. McCloud ist großer Bewunderer von Osamu Tezuka – aus dessen „Astro Boy“-Büchern hat er die Idee, sich selbst als Kommentator in „Comics richtig lesen“ zu inszenieren – das dramatische, manchmal melodramatische Talent des Meisters fehlt ihm. Nicht zuletzt McClouds wie immer penibel aufgeräumte grafische Räume entfremden die Geschichte von der Emotion, die sie haben soll.

Vielleicht ist der Fehler, McCloud für einen großen Erzähler großer Dinge zu halten, weil seine Sachbücher neben dem Sachverstand darin auch wunderbar unterhaltend sind. Vielleicht tut sich McCloud schwer mit seinem eigenen Ruf, der jedem Buch von ihm bereits vor Erscheinen ein Gewicht gibt, das ihn als Erzähler belastet. Tatsächlich ist McCloud ein brillanter Analyst, ein hervorragender Lehrer, ein toller Grafiker (wie dieses Buch immer wieder beweist) und bei Live-Auftritten auch ein amüsanter Plauderer. Das ist mehr als die meisten sind. Nichts davon wird davon geschmälert, dass „Der Bildhauer“ letztlich auf hohem grafischen und konzeptionellen Niveau als Roman scheitert, ein fantastischer, aber kaum berührender Comic ist.

Verfasst im Mai 2015 für COMIX, ebd. veröffentlicht. Manuskriptfassung.

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