(Offiziell) 50 Bände „Blueberry“ und (offiziell) 94 Bände „Lucky Luke“ (beide Zahlen stehen auf dem Cover, stimmen aber nicht) – ein Grund, mal nach dem Stand der Dinge bei den beiden populärsten Westernfiguren im Comic zu schauen.

Mehr und mehr wird das Erscheinen der Jugendabenteuer Blueberrys zum Problem für die Serie, möglicherweise sogar zur Belastungsprobe. Fünfzig Bände sind in der offiziellen Zählweise der „Blueberry“-Comics inzwischen erschienen, mehr als die Hälfte davon ohne die gemeinsame Mitwirkung der originalen Serienschöpfer Charlier und Giraud.

Die meisten dieser Bände machen es sich in der Lücke bequem vor dem eigentlichen Start der Serie, sind also im klassischen Sinne Prequels – oder etwa nicht?

Denn je mehr Bände erscheinen, um so mehr stellt sich die Frage: wie viele Abenteuer, wie viele prägende Erlebnisse kann dieser junge Blueberry haben, wie vielen historischen Personen kann er begegnen, bis seine Charakterentwicklung die der klassischen Serie überholt, bis er so tiefe Spuren in der amerikanischen Geschichte hinterlässt, dass er ganz zur eigenständigen Figur wird, die nicht mehr zum Blueberry der klassischen Serie passt, der im Metasinne selbst die Entwicklung des Genres durchlief: vom optimistischen Helden zum zynischen Antihelden, der sich an der us-amerikanischen landnahme völlig abgerieben hatte?

Ein klassisches Prequel-Problem, hier allerdings verschärft durch die relativ hohe Anzahl an Vorgeschichten, siebzehn sind es inzwischen. Insbesondere seit der Jahrtausendwende ist die Nebenserie die eigentliche Hauptserie, und der anhaltende Erfolg der Comics lässt zudem vermuten, dass das Prequel so lang wie möglich laufen soll.

Wie nun löst Francois Corteggianni, der das Prequel seit über dreissig Jahren schreibt, dieses Problem? Auf die simpelste aller Weisen, indem er – nichts passieren lässt. Nichts wesentliches zumindest. Seit mehreren Bänden mittlerweile lässt er die Figur ziellos durch den Sezessionskrieg irren, mal von dieser, mal von jener Seite gefangen nehmen, kurzfristig Wegbegleiter haben, deren Schicksal durch die Bank dadurch besiegelt ist, dass sie in der Vorgeschichte mitspielen. Im aktuellen Band entkommt Blueberry kurz der Gefangennahme der Konföderierten, nur um an Ende wieder ihr Gfeangener zu sein.

Ein Teufelskreis, der wohl von Cortegianni so gewollt ist. Denn die Geschichte darf höchstens in homöopathischen Dosen vom Fleck kommen, weil sie sonst die Hauptserie überholen würde. Doch ein problem bleibt: Blueberry, der genug Tod, Leid und Katastrophen für drei helden erlebt, aber nicht von den Erlebnissen geprägt werden darf. Glaubwürdig? Glaubwürdig geht anders.

Somit verliert die Figur nicht nur jede tiefere, metaphorische Deutung, sondern vor allem seinen Charakter. Blueberry wird weitgehend austauschbar, ist zu Beginn fast jeder Geschichte genauso wie an deren Ende, unbeeindruckt vom Geschehen um ihn herum. Wollte man es auf eine einfache Formel bringen, müsste man sagen, die Serie ist von den poetischen Höhen eines Sergio Leone (in den klassischen Blueberry-Alben) hinabgestiegen zu den repetitiven Tiefen eines Karl May (in den aktuellen Prequel-Erzählungen)

Aber wer will das schon? Es ist völlig nachvollziehbar, seine Western-Erfahrung mit May zu beginnen und sich dann zu Leone hochzuarbeiten. Anders herum scheint mir der Weg schwer vorstellbar.

Gar nicht dieses Problem hat Lucky Luke, der sich in der etwas problematischen Zählung der deutschen Alben inzwischen auf der Zielgeraden zum hundertsten Band befindet. Zuletzt hat sich ein eigenwilliges Muster herausgearbeitet: zwischen jedem langen Abenteuer des lonesome Cowboy kommt eine Sammlung mit Strips. Man könnte auch sagen, zwischen jedem lesenswerten band kommt einer, den man vergessen kann.

Auch diese Geschichten, also die Strips, sind Prequels, Jugendabenteuer, die Kindheit von Lucky Luke. Aber das ist nichts das Problem, bei einer Figur, die sich grundsätzlich jeder Änderung verweigert. Auch nicht, dass die Strips sich an ein kindliches Publikum richten und einen starken pädagogischen Aspekt haben.

Nein, das Hauptproblem ist, dass diese Strips einfach nicht witzig sind. Der große Leseanreiz von „Lucky Luke“, das parodistische Element, geht völlig verloren zugunsten eines rauen Klamauks, dem ohne die übergreifende Handlung jede Erdung fehlt.

Solange das so bleibt, muss ich leider anraten, von „Lucky Luke“ nur noch jeden zweiten Band zu kaufen.

Die Jugend von Blueberry (Blueberry 50): Der Konvoi der Verdammten, Egmont, 48 S.; €12,00
Lucky Luke 94: Martha Pfahl, 48 S.; 6,00 € (SC), 12,00 € (HC)

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