Ich hatte Eisblumen an den Fenstern. In der letzten Woche, als es hier so kalt war.

An allen Fenstern, im Wohnzimmer, im Arbeitszimmern, und die Balkonfenster hinter der Küche waren eisiges Milchglas.*

Und ich hatte die passende Lektüre dazu. Die – und darum schreibe ich davon – faszinierende Parallelen aufweist. Terry Pratchetts Der Winterschmied ist der dritte der Romane um Tiffany Weh (alias Tiffany Aching, wie sie im Original heisst) und der vierte Band der sogenannten „Märchen von der Scheibenwelt“. Die meisten der Werke von Pratchett spielen – falls ich das noch extra erwähnen muss – auf dieser Scheibenwelt.

WinterschmiedTiffany ist eine Hexe in Ausbildung, und wie das in der Ausbildung so ist: man macht auch mal was falsch. In dem Fall sogar sehr falsch, denn Tiffany tanzt versehentlich mit dem Winterschmied, der Verkörperung des Winters. Der sich natürlich sofort in das Mädchen verliebt und aus lauter blinder Liebe (es ist seine erste) der halben Scheibenwelt den härtesten Winter seit Menschengedenken beschert.

Das klingt so kurz zusammengefasst natürlich äußerst banal (nahezu alle Scheibenwelt-Romane haben das Problem, sich nicht ordentlich zusammenfassen zu lassen). Ist es aber nicht. Mehr noch als seine regulären Scheibenwelt-Romane sind Pratchetts Märchen von der Scheibenwelt ausgesprochen lyrisch, von leichter Melancholie und Ironie durchzogen statt der oft überbordenden Burleske der regulären Scheibenweltromane. Das ist doppelt bemerkenswert, zielen diese Bücher doch auf ein jüngeres Publikum ab – dem Pratchett damit höchsten Respekt zollt: er nimmt es, anders als viele Autoren, die nur gelegentlich für Kinder schreiben, offenbar ernst.

Der Winterschmied ist fast der jüngste der über dreissig Scheibenwelt-Romane, und je länger ich darüber nachdenke, um so mehr bin ich geneigt, ihn auch für einen der besten der gesamten Serie zu halten. Auf jeden Fall für einen der atmosphärischsten.

Winter im MumintalUnd dann waren da noch die Mumins. Eine alte Liebe von mir, seit ich die Knettrick-Serie als Kind gesehen hatte (die ich übrigens rückblickend recht fürchterlich finde, trotz Hans Clarin als Erzähler) und seit ich Jahre später einer Freundin eines der Bücher schenkte und es dann selber mit Begeisterung las. Winter im Mumintal markiert einen Bruch in der neunbändigen Reihe, von eher abenteuerlichen zu eher introspektiven Geschichten, gleichzeitig wird der Erzähltonfall düsterer.

Was mich verblüfft hat: Tove Janssons Buch von 1957 weist einige verblüffende Parallelen zu Pratchetts Erzählungen auf, insbesondere zum Winterschmied (von 2006). Das geht schon formal los, beide Autoren** erzählen mit ironischer Distanz und einer Vorliebe für witzige Alltagsweisheiten, beide Autoren verwenden ironische Fußnoten, um die Handlung zu kommentieren oder zu erweitern, beide legen mehr Wert auf die Situationen und Charakterschilderungen als auf den übergreifenden Plot.

Aber da ist auch noch die Eisfrau, die über das Land geht und dem Mumintal einen überaus harten Winter beschert. Da sind verhungerne Winterwesen und Rettungsaktionen. Da ist eine dunkle Romantik und eine ordentliche Prise Seltsamkeit. Schliesslich tanzt Mumin sogar fast wie Tiffany mit dem Winter:

Ich bin nur noch Wetter und Wind, ich bin ein Teil des Schneesturms, dachte Mumin und ließ los. Es ist fast wie im Sommer, wenn man gegen die Wellen ankämpft und dann einfach wendet und sich von der Brandung landeinwärts tragen lässt, wie ein Korken davonsegelt. Im Wellenschaum funkeln lauter kleine Regenbogen auf, und man selbst landet, lachend und angenehm erschreckt, im Sand.

Mumin breitete die Arme aus und flog.

Kannst mir ruhig Angst machen, dachte er entzückt. Ich weiss jetzt, wer du bist. Du bist auch nicht schlimmer als alles andere, Hauptsache, man hat dich durchschaut. Du kannst mir nichts mehr vormachen!

Und der Winter und Mumin tanzten weiter über den ganzen langen Strand, bis Mumin kopfüber auf dem zugeschneiten Steg landete und ein schwaches, warmes Licht sah, das durch das Fenster des Badehäuschens leuchtete.

„Aha, ich bin also gerettet“, sagte Mumin verdutzt.

Das pratchettscht ordentlich, ist aber zuallererst einfach wunderschön. Hat Pratchett die Mumin-Bücher gelesen? Auszuschliessen ist es nicht.

Die Eisblumen an meinen Fenstern sind übrigens inzwischen wieder fort. Die Bücher kann einen jede Buchhandlung besorgen. Schnell, bevor Frühling ist!

*Natürlich war die Wohnung trotzdem sehr warm, es waren lediglich die Aussenscheiben der Doppelglasfenster überfroren.
** Natürlich ist Tove Jansson eine Frau, aber das würde den Satzbau unheim verkomplizieren.

One Response to “Wintertänze”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (122): ‘Mumins - die gesammelten Comicstrips’ says:

    […] den Mumins hatte ich mich vor kurzem hier bereits geäussert, und auch hier haben sie einen kurzen Gastauftritt … Tove Janssons Mumins – die gesammelten […]