Für das Berliner Stadtmagazin zitty habe ich ein kurzes Portrait Eric Amblers verfasst (auf das ich hinweise, sobald mir mein Belegexemplar vorliegt). Weil ich mich auch diesmal mit dem zur Verfügung stehenden Platz verkalkuliert habe, entstand unten stehende Langfassung, die ich aus gegebenen Anlass für den heutigen Tag etwas umgebaut, erweitert und auf Form getrimmt habe.

Und apropos: lesen Sie Ambler! Es lohnt sich! (Eine Übersicht über das in deutscher Sprache vollständig lieferbare Gesamtwerk Amblers finden Sie hier.)

Der heisse Brei Welt
Zum 100. Geburtstag des Thriller-Revolutionärs Eric Ambler

von Stefan Pannor

Mit grade mal 18 Romanen, einer Autobiografie und einem Sammelband mit Kurzgeschichten und Erinnerungen hat sich Eric Ambler in das literarische Gedächtnis der Welt eingebrannt. Der Autor verstarb 1998 in London. Heute wäre er hundert Jahre alt geworden.

Einmal war Ambler, der kritikergelobte Bestseller-Autor, dann doch neidisch. Das war, als Anfang der sechziger Jahre die verkauften Auflagen von Ian Flemings James-Bond-Romanen in die Höhe schossen. Fleming war ein alter Kumpel von Ambler gewesen, Ambler hatte dem jüngeren Autor seinen Finanzberater und seinen literarischen Agenten vermittelt und so dessen Erfolg erst möglich gemacht. Mit der Reihe der Bond-Verfilmungen stieg Flemings kommerzieller Stern auf.

Ambler dagegen scheint seither immer mehr in die Vergessenheit abzurutschen. Kommerziell wird er von Fleming und dessen Nachfolgern überschattet, literarisch vom Zeitgenossen Graham Greene. Und als elder statesman des Politthrillers gilt sowieso John LeCarré. In seiner Heimat England sind nicht einmal mehr alle Bücher Amblers lieferbar.

Dabei hat Ambler (1909 – 1998) den Spionageroman modernisiert. Schon allein das unterschiedet ihn von allen genannten. Wo die „Bond“-Romane konventionelle Reisser waren, die sich wenig um politische oder geografische Realitäten kümmerten, und Greene seine Thriller nur nebenher verfasste („Entertainments“ nannte er sie, in Abgrenzung zu seinen ernsthaften Werken), trat Ambler ab den 1930er Jahren bewußt an, mit dem Genre des Politthrillers seinen Lesern die Welt zu erklären, wie sie wirklich war.

Dahinter steckte der Ehrgeiz des Autoren, Eindruck zu hinterlassen. Denn zuvor war Ambler als Dichter, Songschreiber und Dramatiker gescheitert. „Also schaute ich mich nach etwas um, dass ich verändern konnte, und verfiel auf den Thriller“, gab er Jahrzehnte später im Interview zu Protokoll.

Was er verändern wollte, zeigte sich schon in seinen frühen Romanen. „Der dunkle Grenzbezirk“, Erstling des 1909 in London geborenen Ambler, handelt 1936 von den Gefahren der Atombombe. „Ungewöhnliche Gefahr“ 1937 vom drohenden Zweiten Weltkrieg und der Verquickung der Interessen von Großindustrie und Faschismus.

Ambler war deshalb noch kein Prophet. In diesen Romanen – und auch den folgenden – trafen lediglich die Fähigkeiten einer analytischen Themendurchdringung mit jenen zusammen, sich möglichst knapp und präzise ausdrücken zu können.

Das trifft nicht nur auf seine Vorkriegsromane zu. „Der Levantiner“, 1972 erschienen, bildet eine auch heute noch gültige Analyse des Nahost-Konfliktes. „Schirmers Erbschaft“ handelt vom Balkan-Konflikt und macht den Jugoslawien-Krieg verständlich. Der Roman wurde erstmals 1953 veröffentlicht.

Darüber hinaus löste Ambler seine Erzählungen von den Klischees der Gentleman-Abenteuer. Seine Helden entstammen meist der Mittelschicht, sind Handlungsreisende, Journalisten oder mittelständische Unternehmer. Sie haben meist klare wirtschaftliche Ziele, ein Vertrag, eine Story, ein Verkauf. Damit entsteht eine Bodenhaftung, die fast allen Politthrillern vor Ambler und vielen anderer Autoren seither fehlt.

Weil Ambler eigentlich aus der Werbung stammte (auf sein Konto geht u.a. ein Guiness-Werbespruch), war er es gewohnt, nicht lange um den heissen Brei herum zu reden. Das prägte den Stil seiner Bücher, der meist knapp und von verkappter Ironie ist. Anders als viele Thrillerautoren war er sich der Grenzen seines Genres bewußt, der Pflicht, unterhaltsam zu sein – und nutzte sie für sich aus. Etwa, indem er dem Leser nur den Anschein von Wahrheit (und somit Sicherheit vorgaukelte).

Wie in „Das Intercom-Komplott“, jenem Roman, in dem ein Schweizer Verschwörungsblättchen von zwei ehemaligen Geheimdienstlern dazu genutzt wird, die Großmachtstaaten mit der angedrohten Veröffentlichung brisanter Geheimnisse unter Druck zu setzen. Der Romane ist ein Kompositum aus verschiedenenen Dokumenten. Erinnerungen der Akteure, Zeitungsausschnitte, Polizeiakten.

Damit rückt Ambler, obwohl oder vielleicht sogar weil er eigentlich nur Thriller geschrieben hat, in die literarische Nähe ganz anderer Autoren: Döblin und Dos Passos mit ihren Kollagen-Romanen und Philip K. Dick mit seiner permanenten Hinterfragung der Realität. Wie Dick wurde auch Ambler lange verkannt, weil er seine Literatur in einem Genre verfasste, in dem die Kritik keine Literatur erwartete: dem Krimi bzw. der Science Fiction.

Anders als Dick hat Ambler trotzdem ganz gut davon leben können. Seine Tantiemen, seine Beteiligung an Drehbüchern (darunter die britische „Titanic“-Verfilmung von 1958 und „Die Meuterei auf der Bounty“-Fassung mit Marlon Brando, bei der Ambler freilich genervt von den Allüren des Stars das Handtuch schmiss) und seine geschickten Investitionen gestatteten ihm ein entspanntes Leben abwechseln in London, Hollywood und schliesslich der Schweiz.

Und auch, dass er sich Zeit nehmen konnte für seine Bücher, die sich heute noch so modern lesen wie zum Zeitpunkt ihres Erscheinens. Wer die Welt verstehen will, kommt um Ambler immer noch nicht herum.

Viele Fakten und ein wenig Inspiration für beide Versionen des Artikels stammen aus:

Stefan Howald
Eric Ambler – Eine Biografie
Diogenes Verlag 2002, 600 S.; € 29,90

Vieler Dank sei auch dem Kollegen vom Diogenes-Verlag, der mir auf der Leipziger Buchmesse drei noch fehlende Ambler-Romane in die Hand drückte.

One Response to “Aus dem Papierkorb (02): 100 Jahre Eric Ambler”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » zitty: 100 Jahre Eric Ambler says:

    […] Der ging irgendwie unter. Für die zitty hatte ich im Sommer dieses kleine Portrait des von mir hochverehrten und sowieso zur Pflichtlektüre gehörenden Eric Ambler produziert. (Eine Langfassung, in der mich die Begeisterung davon trieb, findet sich hier.) […]