Da gab es doch gestern Beschwerden, ich würde plötzlich zu häufig bloggen – Lesern, die nach wochenlanger Funkstille gar nicht mehr damit gerechnet hätten, den Feed-Eingang verstopfen. 😛

Sollte ich mir also fürs nächste Jahr vornehmen: seltener bloggen? Jeden Blogeintrag 14 Tage vorher auf Twitter ankündigen? 😉

Egal. Das Quasi-Kalenderfensterchen für den heutigen Tag enthült Shinanogawa, ein vor allem optisch aufsehen erregender klassischer (oder sagen wir: Old-School-)Manga. Den Text für die Leipziger Comic Combo finden Sie hier. Einen Director’s-Cut des Textes dann hier.

Hideo Okazaki/ Kazuo Kamimura
Shinanogawa

ShinanogawaVielleicht sollte man das alles nicht so ernst nehmen. Wie die junge Yukie schon als Teenager eine Affäre mit einem Lehrer und mit einem Mönch hat. Wie der Adoptivvater sie vergewaltigt und wie die Mutter stirbt, nachdem sie die Familie wegen ihrer nymphomanen Neigungen verlassen hat. Wie das Familienerbe Yukis durch die Große Depression und einen Brand verloren geht. Wie das alles in bis ins Lächerliche schwülstigen Erzähltexten und Dialogen wiedergegeben wird.

Atemlos knüppelt Hideo Okazaki, der für diese Texte verantwortlich ist, die Seifenopern-Klischees durch. Gerade einmal siebenhundert Seiten umfasst „Shinanogawa“. Kurz für einen Manga. Das da oben war gerade einmal der Plot der ersten Hälfte der Geschichte.

Die Geschichte soll vor allem Tabus brechen. Neben den Anspielungen auf Inzest, Sex mit Minderjährigen und die Verletzung religiöser Gefühle findet sich auch noch fast explizit gezeigter Oralverkehr (inkl. Sperma im Gesicht). Respektspersonen wie etwa Yukies Vater werden durch einen fast krankhaften Hang zu Lustknaben und zur Travestie lächerlich gemacht.

Oder vielleicht sollte man es doch ernst nehmen. Denn Kazu Kamimura (den man hierzulande vor allem für seine drei Bände „Lady Snowblood“ kennt) setzt das hypertriviale Märchen von der Little Orphan Yukie in einem Stil um, für den der Ausdruck „expressiv“ noch untertrieben wäre. Hier sind die Naturgewalten permanent in Aufruhr. Ständig rieseln Blüten oder Flocken vom Himmel, steigen Flüsse über Dämme, fällt nebeldichter Regen. Aber nicht nur die Natur spielt ihr Spiel mit dem Emotionen des Lesers. Ein Orgasmus wird durch einen permanent größer werdenden Mund dargestellt, Yukies Vergewaltigung durch ein paar knochenbleiche Körperteile in tiefem Schwarz symbolisiert.

Es sind vor allem die Stilmittel des Shojo, des Manga für Frauen, die Kamimura hier einsetzt. Im Shojo werden die Emotionen der Hauptfiguren gerne durch gezeichnete Naturmetaphern verdeutlicht. Weil „Shinanogawa“ sexuelle unverblümt und brutal ist, hat es freilich so gar nichts mit der weichgespülten Andeutungshaftigkeit üblicher Shojo-Mangas zu tun.

Wie Kamimura sich somit genreüberschreitend in eine grafische Orgie bis an die Grenzen des Surrealen hineinsteigert, könnte man meinen, er habe dieses banale Garn von der gefickten Unschuld tatsächlich ernst genommen. So weit muss man ihm als Leser nicht unbedingt folgen. Aber es sieht fraglos aufsehenerregend aus. (stefan pannor)

Carlsen Manga, 376 S.; € 12,90

2 Responses to “Aktuelle Comicrezension (134): ‚Shinanogawa‘”

  1. Oliver L says:

    Beiß mich doch! 😛 😀

  2. GH says:

    Unbedingt weitermachen – und nicht von irgendwelchen dahergelaufenen Trotteln, die eh keine Ahnung haben, sonstwas einreden lassen!

    GvH