Der verflixte zweite Band – jedenfalls für einen Rezensenten, der bei Serien in aller Regel den Text (und damit das Urteil) bereits bei Band 1 in der Tasche haben muss.

Diesmal:

  • Keiji Nakazwa – Barefoot Gen Band 10: Never Give Up
  • Kazuo Kamimura – Furious Love Bd. 2
  • Hisashi Sakaguchi – Ikkyu Bd. 2

Keiji Nakazwa
Barefoot Gen Band 10: Never Give Up

Eigentlich ist das ja schlechtes Benehmen: eine Serie unvollständig zu bringen. Zumal, wenn die Verkaufszahlen stimmen. So wie im Fall von Barfuß durch Hiroshima, den mehr oder minder stark verfremdeten Erinnerungen des Zeichners Nakazawa an den Bombenabwurf von Hiroshima.

Auf Deutsch erschienen vier Bände bzw. rund tausend Seiten der Erzählung vor einigen Jahren bei Carlsen, begleitet von veritabler Medienaufmerksamkeit. (Und noch viel früher, nämlich in den Siebzigerjahren, die ersten 250 Seiten als allererster Manga in deutscher Sprache überhaupt bei Rowohlt.) Im Original umfasst die Serie das Dreifache, sie liegt auf Japanisch und Englisch in zehn Bänden vor.

Carlsen hat jedoch einen weisen Schnitt getan. Denn über die Atombomben-Erinnerungen hinaus handelt Barfuß durch Hiroshima bzw. Barefoot Gen, wie es auf Englisch heißt, vor allem davon, das einmal gefundene Thema nicht mehr loslassen zu können. Nicht unbedingt zum Besten der Erzählung.

Zu Beginn des zehnten Bandes schreibt man bereits das Jahr 1953. Acht Jahre nach dem Abwurf der Bombe ist Gen (Nakazawas Alter Ego im Comic) dabei, sich im leidlich wiederaufgebauten Hiroshima als Schildermaler durchzuschlagen. Die Atmosphäre ist von wirtschaftlicher Aufbruchstimmung und gleichzeitiger Verzweiflung geprägt, immerhin mehren sich die Krebsfälle bei den Hiroshima-Überlebenden.

Das beeindruckende an den frühen Kapiteln von Barfuß durch Hiroshima war die intensive Darstellung des Atombombenabwurfs, die Nakazawa ziemlich unverblümt und direkt betrieb. Ohne dieses Drama als Grundlage zeigt sich leider, was für ein mittelmäßiger Erzähler Nakazawa ist. Verzweifelt sucht er nach Themen mit ähnlichem emotionalen Einschlag (Drogen, Krebstod, Mafia) – und findet sie nicht. Die diversen Handlungsstränge um Gens Familie zu diesen Themen mäandern auseinander, nur zusammengehalten von Nakazawas unbedingtem Willen zur Botschaft: Militär ist schlecht! Krieg ist schlecht! Drogen sind schlecht! Mit permanent erhobenem Zeigefinger erzählt Nakazawa seine Geschichte, deren autobiographischer Ansatz infolgedessen mehr als dünn gerieben sein dürfte, eher notdürftig (und kaum glaubhaft) zu Ende. Wenn Gen schließlich den Zug besteigt und Hiroshima verlässt, dann ist das einen Seufzer wert: Gottseidank, nun ist’s vorbei. (Last Gasp, 260 Seiten, 14,95 $)

Kazuo Kamimura
Furious Love Bd. 2

(Siehe zur Vorgeschichte hier.)

Hier findet mit Band Zwei (von Drei) ein verblüffender Wechsel im Tonfall statt. Bildete der erste Band tatsächlich noch eine mehr oder weniger galgenhumorige Ansammlung von Anekdoten, in der düstere Töne – wie Hunger, Verzweiflung, Betrug und künstlerische Erfolglosigkeit – von eulenspiegelhaften Anekdoten aufgehellt wurden, ist das Kernstück dieses Buches eine tragische, psychopathische und extreme Verbrechergeschichte.

O-Schichi, leidlich positive, tragische Hauptfigur des ersten Bandes (der Vater gehörnter Geschäftsmann, die Mutter nymphomanische Prostituierte) wird hier zur Brandstifterin mit entsprechend tragischem Ausgang. Kamimura verwendet viel Raum auf die Schilderung der Geschehnisse. Entsprechend rückt die Darstellung der Künstlerkolonie und des Künstlerlebens ein wenig in den Hintergrund – durchaus zum Vorteil des Lesers, denn die Handlung wird so straffer und flüssiger, die gelegentlich verwirrenden und Aufmerksamkeit fordernden historischen Querverweise werden überschaubrer in der Anzahl..

Aber natürlich kann Kamimura auch diesmal nicht aus seiner Haut. 50 Seiten verwendet er, um „die Hölle im Frühling“ darzustellen, eine gleichermassen tragische wie komische überlange Sexszene von wunderbar kruder Poesie. Er ist eben doch ein Schalk, und all zu ernst sollte man Furious Love trotz seiner tragischen, esoterischen und ernsten Themen weiterhin nicht nehmen. (Carlsen Manga, 360 Seiten, 14,90 €)

Hisashi Sakaguchi
Ikkyu Bd. 2

(Zur Vorgeschichte siehe hier)

Es gibt die faszinierende Geschichte, nach der Sakaguchi die letzten Seiten von Ikkyu beim Verlag abgeliefert, nach Hause gegangen und gestorben sein soll.

Keine Ahnung, ob diese Geschichte stimmt. Immerhin war Sakaguchi zum Zeitpunkt seines Todes keine 50 Jahre alt. Aber er hatte eine beeindruckende und demnach wohl auch auslaugende Karriere in der japanischen Animationsindustrie hinter sich, als Assistent und Mitarbeiter von Osamu Tezuka u.a. an der Anime-TV-Serie zu Astro Boy.

Diese Erfahrung im Animationsbereich merkt man Ikkyu auf jeder Seite an. Die Geschichte ist von einer Flüssigkeit, wie sie nur wenige Mangas erreichen, einer Geradlinigkeit, die selbst ein so sperriges Thema wie das Leben des obskuren buddhistischen Mönches Ikkyu im japanischen Mittelalter mit seinen unzähligen Haupt- und Nebencharakteren und esoterischen Abschweifungen lesbar und faszinierend für mit der Materie Unvertraute macht.

Es lohnt in der Tatt, Ikkyu nicht nur hinsichtlich der zeichnerischen Gestaltung zu lesen, sondern auch bezüglich Perspektivwahl und Schnitt. Sakaguchi baut die Geschichte wie einen Ghibli-Film auf, mit vielen kurzen Sequenzen, die sich erst nach längerer Zeit erzählerisch zusammenfügen, aber entscheidend zur Atmosphäre der Geschichte beitragen. Wie sich überhaupt Ikkyu als „Ghibli mit mehr Sex“ zusammenfassen ließe, ein eher schrilles, im Kern aber hervorragend ausbalanciertes und durchdachtes Lesevergnügen. (Carlsen Manga, 320 Seiten, 12,90 €)

4 Responses to “War sonst noch was – Ikkyu, Furious Love, Barefoot Gen”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Tagesspiegel: ‘Ikkyu’ says:

    […] Mehr zu Ikkyu hier. […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Der Kitzel mit dem atomaren Trauma says:

    […] dagegen beendete seine Hiroshima-Autobiogafie 1983, nach zehn Bänden und 3.000 Seiten, kaum beachtet. Bis 2009 zeichnete er weiter Mangas, ehe die Spätfolgen der Strahlung (u.a. […]

  3. hinnerk says:

    Der Rowohlt-Band ist 1982 erschienen.

  4. Stefan says:

    Besten Dank für den Hinweis! Besser spät als nie! 🙂