„Auf dem Vorhang sah ich einen Schatten vorübergehen. Er setzte sich zu mir aufs Bett.“ So atmosphärisch beginnt, noch auf der Vorsatzseite des Buches, „Der Schwarze Mann“, eine wunderbare Hommage an die französische Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts.

Die war, weil verstörend irrational, um einiges abgründiger als die eher gesitteten Erbauungsromane deutscher Provenienz oder die unerbittlich auf ein Happy-end zusteuernden Sozialdramen britischer Herkunft dieser Zeit. Die Deutschen hatten ihren Biedermeier und Theodor Storm, die Briten hatten Dickens.

Die Franzosen aber hatten Victor Hugo, die beiden Dumas‘, Eugene Sues „Geheimnisse von Paris“, wenn man zeitlich etwas vorausgreifen will, „Fantomas“, den Meisterschurken (ab 1911), und Alfred Musset, von dem obiges Zitat stammt. Erzählt wurde von Verbrechen, Korrumption und Korruption, Dreck, Armut, Dekadenz und Tod, häufig nicht aus der Perspektive einer handelnden Figur, sondern gleich eines Dutzend davon, gleichermaßen den Montageroman und den Roman Noir antizipierend.

„Der Schwarze Mann“ hat etwas von all dem. Am meisten wohl von Victor Hugo und Eugene Sue, als es keine stringente Erzählung eines Einzelschicksals ist, sondern ein aus den Geschicken vieler Figuren geknüpftes gesellschaftliches Drama. Der schwarze Mann ist, zum Namen passend, das Monster im Hintergrund: ein bizarrer maskierter Mörder, dessen reine Existenz das Handeln von Politikern, Schriftstellern, Journalisten, Adligen und Bürgern antreibt. Er ist nicht die Hauptrolle, er ist Katalysator für das Tun der anderen.

Die von Maurel und Hamo entworfene Handlung, in der sich diese Figuren bewegen, folgt dabei dem Gesetz des Zeitungsromans, mit immer neuen Volten den Leser zu überraschen. Dabei stapeln sie nicht einfach nur neue Wendungen übereinander. Sondern folgen ganz offensichtlich einem erzählerischen Plan, der so weitgespannt, eng geknüpft und letztlich in sich schlüssig ist, dass schon das Zusehen dabei, wie sich alles fügt, eine Freude ist.

Darüber hinaus vermeiden sie jede Zeigefingerhaftigkeit. Wie ihre großen Vorbilder erzählen Maurel und Hamo mit beinahe unterkühlter Nonchalance von dem Netzwerk, in dem sich die Figuren verstricken, von dem großen Masterplan des Schwarzen Mannes, der im Grunde so leicht durchführbar ist, weil jeder brav in seiner sozialen Rolle bleibt.

Innerhalb Ehapas All-One-Reihe, in der „Der Schwarze Mann“ erscheint, ist es nicht die erste Hommage dieser Art. Mit „Tanatos“ in der selben Reihe hatten sich Convard und Delitte dem Fantomas-Mythos angenommen – mit desaströs trivialem Ergebnis. „Der Schwarze Mann“ wirkt in seiner nüchternen, wenig romantisierenden oder trivialisierenden Klarheit wie die Antithese dazu.

Antoine Maurel & Hamo: Der Schwarze Mann
Ehapa Comic Collection, 144 S.; € 34,95

Verwandte Geschichten:

  • Tanatos
  • Vampire
  • One Response to “Der Schwarze Mann”

    1. Stefan Pannor » Blog Archive » Traum von Jerusalem says:

      […] « Der Schwarze Mann 09 04 […]