Manuskript zur Vernissage „Subway to Sally Storybook“ in der Leipziger Moritzbastei am 01.06. 2011.

Über Musik schreiben, so geht ein Bonmot, das wahlweise Frank Zappa oder Elvis Costello zugeschrieben wird, aber vermutlich auf den amerikanischen Komiker Martin Mull zurückgeht, sei wie über Architektur tanzen.

Tatsächlich ist wenig schwieriger, als Musik in Worte zu fassen. Während wir viele andere Sinneserfahrungen – Gerüche, Temperaturempfindungen, Tastsinn – als durchaus ähnlich erfahren, bleibt Musik letztlich ein durch und durch individuelles Erlebnis. Mit Beschreibungen dessen, was ein Lied, eine Komposition oder vielleicht nur der zufällige harmonische Klang eines Geräuschs in uns ausgelöst haben, nähern wir uns der eigentlichen Musik immer nur mehr schlecht als recht an.

Aber wie ist das mit Comics? Kann man über Musik zeichnen? Nun gab es in den letzten Jahren einige hervorragende Comics über Musiker. Reinhard Kleist hat das Leben von Johnny Cash in Bilder umgesetzt, das Künstlerkollektiv Moga Mobo das von Elvis. Der Italiener Igort hat in opulenten Bildern von Leben und Sterben des Jazzmusikers Fats Waller erzählt. Und sein Landsmann Gipi hat sich, wenn auch nicht mit Stars, so doch mit Musikern beschäftigt: seine Graphic-Novel „5 Songs“ handelt von einer Punkband in der italienischen Provinz.

Allerdings handeln alle diese Comics von Musikern. Von ihrem Aufstieg und Fall. Die Musik spielt, wenn man so will, die zweite Geige neben dem menschlichen Drama. Es gibt nicht einmal einen Soundtrack zu den Geschichten: der Comic ist per se ein stummes Medium, die Möglichkeit, Musik einzubinden, bleibt ihm, anders als dem Film, schon deshalb verwehrt, weil jeder Leser ein anderes Tempo hat.

Also scheitert auch der Comic an der Musik, weil er, um voriges Bonmot aufzugreifen, ansonsten versuchen würde, über Architektur zu tanzen?

Nicht ganz. Möglicherweise ist es der Ungestüm der Jugend, der ein Projekt wie das „Subway to Sally“-Storybook möglich gemacht hat. Darin geht es um Musik, es geht um Lieder. Es geht um die Texte der Lieder, selbstverständlich.

Aber es wären arme Comics, würden sie sich nur auf die Texte beschränken. Der Text, der Gesang, ist immer nur ein Element eines Liedes. Es geht um das ganze Lied, und die kurzen Comics illustrieren, und das auf äußerst eingängige Weise, das emotionale Spektrum, das ein Lied auslösen kann.

Subway to Sally wurde 1992 gegründet. Das ist nicht nur simples Wikipedia-Wissen, sondern tatsächlich ein wichtiger Fakt, um das Projekt dieses „Storybooks“ zu verstehen. Als die Band sich gründete, waren praktisch alle Beteiligten an diesem Buch noch keine zehn Jahre alt. Sie sind, wenn schon nicht mit der Musik aufgewachsen, so doch in diese hineingewachsen: erst war da die Musik, erst war die Band, und dann waren die Zeichner, die sie hörten.

Das erklärt möglicherweise die emotionale Direktheit dieser Comics: kaum einer der beteiligten Künstler dürfte noch bewußt eine musikalische Landschaft wahrgenommen, in der der Sound von Subway to Sally, oder, um es etwas allgemeiner zu formulieren, der Folk-Metal, wie er Anfang der Neunzigerjahre von Bands wie den Inchtabokatables oder eben Subway to Sally geprägt wurde, nicht existiert hat. Der Sound der Band, die Verschmelzung von mittelalterlicher Instrumentierung und Metal, ist selbstverständlich geworden, mindestens in dem Sinne, dass er da ist.

Und so selbstverständlich gehen die beteiligten Künstler an die Lieder heran. Ihre Adaptionen einzelner Lieder lassen sich nicht über einen Kamm scheren, weder in der inhaltlichen Umsetzung noch gestalterisch. Inhaltlich reicht die Bandbreite von der Illustration des Textes einerseits bis zur hochgradig abstrakten Meditation über das Gehörte andererseits. Formal finden sich bis aufs äußerste abstrahierte Stile neben fein ausgearbeiteten Seiten, und dazwischen extreme grafische Energieausbrüche jenseits aller Stilschubladen.

Das ist natürlich einerseits ein Bekenntnis für die Vielfalt des jungen deutschen Comic. Viele der hier ausgestellten Zeichnerinnen stammen ursprünglich aus der Manga-Szene, haben mit dem Zeichnen von Fan-Manga begonnen und waren und sind auf Fan-Portalen wie Animexx aktiv.

Die Herkunft belegt – sofern man das noch belegen muss – dass Manga mehr ist als nur das Klischee von kulleräugigen Figuren. In den vergangenen Jahren hat sich Animexx als einer der Kreativpools im deutschsprachigen Comic herauskristallisiert, wie überhaupt die derzeit spannendsten einheimischen Comics ihren Ursprung im Netz haben.

Dieser junge deutsche Comic, und das unterscheidet ihn von den Generationen vor ihm, kann das Kürzel „deutsch“ gerne abstreifen, denn er findet schon längst in einer global vernetzten Umgebung statt, in der japanische Comics das inspirative Rückgrat für ein Buch über die Lieder einer deutschen Folk-Metal-Band bilden.

Andererseits belegt es, dass man selbstverständlich über Musik zeichnen kann, ohne dass dabei etwas verloren geht. Ein guter Popsong braucht drei Minuten, ein guter Popcomic nicht viel länger. Und die beste Möglichkeit, seine Gefühle über Musik zum Ausdruck zu bringen, ist immer noch der Tanz. Diese Comics, sie tanzen, nein, nicht über Architektur, sondern über Musik, auf eine ebenso stille wie laute Weise, und ich bitte Sie, da einmal ganz genau hinzuhören.

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[Alle Bilder aus Subway to Sally Storybook 2, voraussichtlicher Erscheinungstermin März 2012. Die Abbildung dient rein illustrativen Zwecken, das Copyright verbleibt bei den jeweiligen Rechteinhabern.]

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