Nahezu unbeachtet erschien 2003 in den USA das erste Heft von „The Walking Dead“. Acht Jahre und achtundachtzig Hefte später liegt die Gesamtauflage aller bisher erschienenen Comics längst im mehrfachen Millionenbereich, die Serie erscheint in einer Vielzahl Staaten und Sprachen. Im vergangenen Jahr startete die erste Staffel der Fernsehserie zu „The Walking Dead“ mit beispiellosem Erfolg parallel auf englisch und deutsch.

Ein Erfolg, der zu Anfang nicht abzusehen war. Weil er für seine ersten Comics keinen Verlag fand, musste der ehemalige Comicshop-Angestellte Kirkman sich hoch verschulden, um die Hefte – eine bizarre Serie namens „Battle Pope“, also „Kampfpapst“ – im Eigenverlag veröffentlichen zu können. Bis zu 50.000 Dollar, das Mehrfache seines Jahreseinkommens, betrugen seine Schulden zeitweise aufgrund dessen.

Einige Jahre und diverse Experimente mit meist kurzlebigen anderen Serien später erschienen die ersten Ausgaben von „The Walking Dead“ immerhin schon bei einem „richtigen“ Verlag – bei Image, durch Serien wie „Spawn“ bekannt dafür, auch härtere Stoffe zu veröffentlichen. Zeichner der ersten sechs Ausgaben war Tony Moore, der mit Kirkman bereits an „Battle Pope“ gearbeitet hatte, danach übernahm Charlie Adlard, der die Serie seither durchgängig zeichnet.

Auf den ersten Blick wirkte der Plot von „The Walking Dead“ verblüffend altbacken. Der Polizist Rick Grimes wacht, nachdem er im Dienst von einer Kugel getroffen wurde, im Krankenhaus aus dem Koma auf und muss feststellen, dass die Welt um ihn herum von Zombies überrannt wurde. Das schien vordergründig ein weiterer Aufguß des selben Themas zu sein, das durch Filme und Games wie „28 Days later“ oder „Resident Evil“ (beide 2002) grade erst wieder populär gemacht worden war. Vielleicht darum nahmen Kritik und Leser zu Anfang relativ wenig Aufmerksamkeit von dem neuen Comic.

Anders als die genannten Titel setzte Kirkman als Autor der Serie allerdings vorrangig auf Charakterschilderungen statt auf Action. Seine Hauptfigur Rick Grimes ist weder strahlender Held noch unbeugsamer Zombieshooter, sondern ein an den Grausamkeiten der zombifizierten Welt allmählich zerbrechender Mensch, der alles tut, um zu überleben.

Darüber hinaus orientierte sich Kirkman in seiner Erzählung weniger an klassischen Zombiegeschichten, die vor allem aus dem Abmetzeln der Untoten bestehen, sondern am uramerikanischsten aller Genres, dem Western. Rick Grimes und die sich nach und nach um ihn scharenden Menschen ähneln den Siedlern klassischer Westernerzählungen, die einen Treck bilden, der auf der Suche nach einer sicheren Zuflucht durch eine feindliche Umwelt zieht. Die Zombies, vor deren Überfällen die wenigen verbliebenen Menschen permanent auf der Hut sein müssen, entsprechen hierbei den Indianern.

Zudem bietet das Konzept der Odyssee durch ein komplett feindlich gewordenes Land – beeindruckend die Darstellungen der leeren Landstriche und der von Zombies überrannten Großstädte – Stoff für eine Vielzahl möglicher Episoden und dramatischer Wendungen im Schicksal der Hauptfigur Rick Grimes.

Jedenfalls fand „The Walking Dead“ nach einem eher schwachen Start schnell ein Publikum. Die monatliche Heftserie ist auf dem desolaten amerikanischen Comicmarkt mit seinen permanent sinkenden Verkaufszahlen der einzige Titel, der seit acht Jahren konstant an Lesern dazugewinnt. Inzwischen gibt es die Hefte auch als Nachdrucke in Büchern (diese bilden die Grundlage für die deutsche Ausgabe bei Cross Cult). Jüngst erschien der erste Roman zur Serie in den USA, selbstverständlich verfasst von Kirkman.

Selbst die Fernsehserie, die im vergangenen Herbst zu Halloween auf dem amerikanischen Kabelkanal AMC (die auch Serienhits wie „Mad Men“ und „Breaking Bad“ machen) startete, war ein gewaltiger Erfolg: über fünf Millionen Zuschauer, mehr als doppelt so viele wie für den Bezahlkanal üblich, schauten die Pilotepisode. Nicht zuletzt, weil hinter der Serie Meisterregisseur Frank Darabont („The Green Mile“) steckte, der als Produzent sowie teilweise als Drehbuchautor und Regisseur, versehen mit einem für TV-Produkte ungewöhnlich hohen Budget, ein beinahe kinoartiges Erlebnis schuf.

Dabei hält sich die Serie in Grundzügen an die Comicvorlage. Hauptheld hier wie dort ist Rick Grimes. Allerdings weicht die Handlung in Darabonts Version bereits ab Folge zwei von der Comicvorlage ab. Handlungsverläufe und Nebenfiguren unterscheiden sich teilweise signifikant vom Comic. Im Übrigen mit ausdrücklicher Genehmigung von Robert Kirkman, der Ko-Produzent der Serie ist und selbst das Drehbuch für eine Episode der ersten Staffel schrieb.

Leider steht die zweite Staffel, die ab Oktober fast gleichzeitig in den USA und Deutschland startet, unter einem weniger guten Stern. Nach einem Streit aufgrund drastischer Budgetkürzungen feuerte der Sender Frank Darabont kurzerhand, noch dazu mitten in den Arbeiten an einer Episode. Gefordert wurden vom Sender weniger Außenaufnahmen (obwohl diese entscheidend für die Atmosphäre und den Look der Serie sind) sowie weniger Action und mehr Dialog. Beides klassische Maßnahmen, um Geld in einer TV-Produktion zu sparen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Änderungen auf die Serie auswirken. Die hervorragende erste Staffel erscheint immerhin Ende Oktober auf BluRay und DVD (mit der in Deutschland bisher unveröffentlichten Langfassung der Pilotepisode, die über zwanzig Minuten länger ist). Dann erscheint auch das Artbook zur Comicserie, das neben sämtlichen Covern eine Vielzahl Skizzen, unveröffentlichtes Material und Kommentare von Tony Moore und Charlie Adlard enthält.

[Erschienen in COMIX 10/ 2011, aktuell im Bahnhofsbuchhandel und im Comichandel erhältlich. Unredigierte Manuskriptfassung)

Mein Interview mit Charlie Adlard, dem Zeichner von „The Walking Dead“ findet sich hier.

2 Responses to “Ja, wo laufen sie denn hin? – Robert Kirkmans Serie „The Walking Dead“ ist der erfolgreichste Zombie-Comic aller Zeiten”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » ‘The Walking Dead’: “Wie ‘Lost’ mit Zombies” – Interview mit Serien-Schöpfer Charlie Adlard says:

    […] Ja, wo laufen sie denn hin? – Robert Kirkmans Serie „The Walking Dead“ ist der erfolgreichste Zombie-Comic… » 27 10 […]

  2. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (231): 2 x Olivia Vieweg says:

    […] Zombies scheinen sehr direkt aus Kirkmans die aktuelle Zombiewelle auslösender Comicserie „The Walking Dead“ […]