Ach, das Altwerden! „Mit zunehmendem Alter verliert das Leben seinen Reiz“, gibt im Jubiläums-Comic „Das Goldene Buch“ ein alt gewordener Asterix zu Protokoll.

Der Ton war neu. Zuvor waren alte Männer vor allem Gegenstand von Witzen gewesen. Methusalix, mit dreiundneunzig Jahren Dorfältester, wird bei seinem ersten Auftritt in „Asterix bei den Olympischen Spielen“ als Lustgreis dargestellt. Später verdankt der Leser ihm das unsterbliche Zitat „Ich hab‘ nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier“. In „Streit um Asterix“ hält er nüchtern fest „Das wird ja immer schöner mit der Jugend von heute!“

„Diesen Jungs geht jeder Sinn für Pünktlichkeit ab!“, kommentieren die alten Herren das späte Erscheinen der Jugend auf dem Schlachtfeld in „Asterix auf Korsika“. Und „Ich erinnere mich an die Zeit, als es pausenlos durchging“, gemeint ist die Klopperei.

Es ist vermutlich die schmerzhafteste Stelle in der gesamten Historie von „Asterix“, den Krieger und seinen Kumpel Obelix grau, gebeugt, greisenhaft auf der Bank sitzend zu sehen. Und vielleicht die ehrlichste. 82 Jahre alt war „Asterix“-Zeichner Albert Uderzo da. Selbst noch kein Greis, aber die Zeichnerhand wollte längst nicht mehr so, wie der Zeichner wollte, wie er im Interview auch zugab. 2008 war seine Autobiografie erschienen, 2009, zum fünfzigsten Jubiläum der Figur, jenes finale „Asterix“-Abenteuer „Das goldene Buch“ aus seiner Hand. Und dann war, jedenfalls für Uderzo, Schluß.

Wer will es ihm verdenken? Inhaltlich waren die Asterix-Abenteuer zu dem Zeitpunkt nur noch ein fahler Schatten ihrer selbst. Spätestens seit 1977, als Rene Goscinny überraschend starb, Autor der ersten vierundzwanzig „Asterix“-Alben. Mitten in der Entstehung der Geschichte. Der Verlag zwang Uderzo, das Album trotzdem fertig zu produzieren, das darum mit seitenweise grauem Himmel endet.

Was danach kam, von Uderzo nicht nur gezeichnet, sondern auch getextet, war größtenteils ein Trauerspiel aus faden Gags und notdürftig zusammengezimmerten Plots, mit dem er am Ruhm des eigenen Werks kratzte.

Aber andererseits: muss man nicht Uderzo Narrenfreiheit zugestehen, als einen im Wortsinn einzigartigen europäischen Comiczeichner, dessen filigraner, nach außen scheinbar so fuseliger, in Wahrheit aber aufgeräumter Strich eine Schule für sich ist? Was Uderzo da in seinen letzten Alben produziert hat – vergessen, angesichts der Nase von Cleopatra, dem „Tock-Tock“ von Obelix!

Wo hat er all das eigentlich her? Die Biografie gibt Aufschluß. Geboren 1927 als Kind italienischer Einwanderer, in bitterarmen Verhältnissen aufgewachsen, war er kurz Kuhhirt, dann Mechaniker, Trickfilmer und schließlich Comiczeichner.

Von den Franzosen wurde die Familie relativ schnell eingebürgert („Frankreich war gastfreundlich“, kommentiert er in seiner Autobiografie), von den Nazis wurde der minderjährige Albert zur Zwangsarbeit rekrutiert. Nicht nur den Humor, auch die Abneigung gegen Nazis hatte er mit Rene Goscinny gemein, dem Juden polnischer Herkunft, der in Argentinien aufgewachsen war, von dem Teile der Familie im KZ gestorben waren.

Beide waren Fremde in Frankreich, vom Land gut aufgenommen, Internationale im Land der „Internationale“. Beide hatten erlebt, wohin die Ideen eines Reichs und übertriebener Nationalstolz führen konnte.

Darin finden sich die Wurzeln jenes europäischen „Asterix“, der meist liebevoll – außer bei den Deutschen, pardon, „Goten“ – die Eigenheiten der europäischen Nationen karikiert, der das gallische Dorf als idealisiertes Spiegelbild des osteuropäischen Schtettl zeichnet, der immer wieder die Einheit der europäischen Völker zeichnet – gegen grassierenden Imperialismus.

(c) Walt DisneyUnd grafisch? Natürlich las er als Kind Comics. Freilich nicht die aus Belgien, wie etwa das damals schon immens erfolgreiche „Tim & Struppi“, oder die ersten Nummern von „Spirou“. Sondern die aus Übersee, vor allem die aus dem Haus Disney.

Das waren noch nicht die „Donald Duck“-Geschichten von Carl Barks (die gab es damals noch nicht), sondern die Comicstrips von Floyd Gottfredson mit Micky Maus, der damals tatsächlich eine interessante Figur war: klein, gewitzt, sich von Job zu Abenteuer zu Job hangelnd, ein bescheidener Underdog. Ihm zur Seite der übergroße, tumbe Goofy. Es fällt nicht schwer, in diesem Figurenverhältnis die Keimzelle von Asterix und Obelix zu sehen, und in Gottfredsons semirealistischem Strich eines der Vorbilder für Uderzos Zeichenstil. Später, in dem Asterix-Album „Gallien in Gefahr“, hat Uderzo der Maus ein überlebensgroßes Denkmal gesetzt.

Überhaupt, die Vorbilder. Die finden sich nicht in der brummenden frankobelgischen Comicszene der Nachkriegszeit, nicht bei Hergé („Tim & Struppi“), nicht bei Franquin („Gaston“). Die Vorliebe für den realistischen Strich hat er von Milton Caniff („Terry and the Pirates“), den Hang zur kreativen Schriftgestaltung von Walt Kelly („Pogo“). Den Drall zur Persiflage hat er von den frühen „MAD“-Heften.

Das Ergebnis war ein grafisch nahezu doppelter Uderzo, einer der realistische Abenteuercomics (wie die Fliegercomic-Serie „Tanguy & Laverdure“) ebenso überzeugend zeichnen konnte wie die Funny-Eskapaden eines Asterix und seiner vielen komischen Vorläufer.

Es wäre sowieso ungerecht, Uderzo auf den knubbeligen Gallier zu reduzieren. Viele der Comics davor, der Indianer „Umpah-Pah“, der Reporter „Luc Junior“, der Pirat „Pitt Pistol“ – alle stehen tief und zu Unrecht im Schatten des „Asterix“. Der war zu Anfang nur einer unter vielen, schnell in einer Nacht mit viel Pastis ausgebrütet, in einem der Arbeiterschließfächer des Pariser Vororts Bobigny, in dem Uderzo damals wohnte.) Vielleicht darum zu Anfang etwas schludrig im Aussehen. Lange Zeit zeichnete Uderzo „Tanguy & Laverdure“ und „Umpah-Pah“ parallel zu „Asterix, produzierte jeden Tag eine fertige Albenseite – ein ungeheurer Aufwand.

(c) Les Editions Albert RenéEr hätte es leichter haben können. Sein Bruder Marcel, ebenfalls Comiczeichner, gehört zu den wenigen, die Alberts Zeichenstil glaubwürdig nachahmen können. Marcel hat neben einer „Asterix“-Kurzgeschichte die Comicadaption des Films „Asterix erobert Rom“ gezeichnet. Albert hat beide Comics mit einem Wiederveröffentlichungsverbot belegt, von „Asterix erobert Rom“ später sogar eine eigene Bilderbuchfassung erstellt, um die Spuren dieses Comics ganz zu tilgen. Die Brüder eint eine innige Feindschaft: Marcel ist das einzige Mitglied der Familie Uderzo, das in Alberts Autobiographie praktisch nicht erwähnt wird.

Wie überhaupt der späte Albert eher als Streithammel, denn als Comiczeichner von sich reden gemacht hat. Er führte Prozesse gegen alles, was auf -ix endet und gegen seine eigene Tochter, gegen die deutschen Comiczeichner Ralf König und Walter Moers. Ach, wie gesagt, das Altwerden! Im Comic genügt ein kräftiger Fausthieb, ausgerechnet geführt gegens einen Schöpfer Albert Uderzo, und Asterix ist wieder jung. Im wahren Leben wird Albert Uderzo heute 90 Jahre alt, drei Jahre jünger als Methusalix.

 

Manuskriptfassung. Ursprünglich publiziert auf EINES TAGES/ SPIEGEL-Online.

Noch was Schönes zu „Asterix“.

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