Archive for Januar, 2010

Diverse
Ente in Antik

Irgendwann, wenn die Geschichte der Graphic Novel in Deutschland geschrieben werden wird, wird man auf Walt Disneys Lustiges Taschenbuch zu sprechen kommen müssen. Das hat seit den sechziger Jahren Leser hierzulande auf all die Dinge geprägt, die mit jeder neuen Graphic-Novel-Welle (aktuell ist es die zweite) als innovativ und neu bezeichnet werden: lange, abgeschloßene Erzählungen, handliche Formate. Mehr Länge, Breite, Tiefe.Okay, lange Erzählungen über Enten und Mäuse.

Aber sonst? Kein Unterschied, oder?

Ohne die Vorreiterrolle des Lustigen Taschenbuch hätte es vermutlich weder die trashigen Superhelden-Taschenbücher der Siebziger- und Achtzigerjahre gegeben noch die Manga-Welle ab 1998, ohne die Prägung von Millionen Lesern auf das kleine und lange Format.

Leider ist es dann schon das einzig interessante an Titeln wie Ente in Antik (das Buch erschien vor einigen Jahren schon mal in einer Reihe mit anderen als Softcover, war damals aber wohl kein besonderer Erfolg, denn die Reihe verschwand nach vier Bänden vom Markt), dass sie sich nun in einer bizarren Wendung der Geschichte an den aktuellen Graphic-Novel-Boom anzuhängen versuchen. Mit nobler Aufmachung (Hardcover und gerundeter Buchrücken) und einem nicht ganz so marktschreierischen Titelbild als bei sonstigen Disney-Publikationen üblich. Die Inhalte – was der Titel sagt: Disney-Comics über die Antike – freilich entsprechen der Standard-Durchschnittskost des Lustigen Taschenbuchs, da ändert auch die edle Aufmachung und der relativ hohe Preis (15 Euro für 400 Seiten) nichts dran.

Didier Convard/ Gilles Chaillet
Vinci

Didier Convard hat mich ja neulich schon geärgert als Autor von Tanatos. Im Vergleich zu Vinci ist das aber wohl ein Meisterwerk. Der dürftige Plot ist schnell runtergeratscht: Leonardo daVinci als Serienkiller, der seine geliebte Mona Lisa rächen will und darum der Reihe nach vier hochangesehene Bürger auf brutalstmögliche Weise umbringt.

Viel Blut, viel hohles Pathos und Dialoge, die so schmalzig sind, dass sie bei den aktuellen Temperaturen vermutlich ausflocken. Dazu ein wenig halbgares Wikipedia-Wissen über da Vincis Erfindungen, lieb- und spannungslos zusammengerührt. Immerhin sind die Stadtansichten der mittelalterlichen Venedig, Mailand und Florenz sehr gelungen. Das rettet die vollkommen ungare Erzählung nur leider auch nicht.

Jason Aaron/ R.M. Guera
Scalped: Dead Mothers/ The Gravel in your Guts

So gehts doch auch! Seit einiger Zeit schon schreibt Jason Aaron dieses Kriminalepos aus den Indianerreservaten, und sie hat ihm die Türen zu einigen gutbezahlten Jobs bei Marvel und DC geöffnet. Davon abgesehen bleibt Scalped immer noch sein bestes Ding bis dato, nicht zuletzt weil das Niemandsland der Reservate eine von der Kriminalliteratur weitgehend unerforschte Gegend ist. So hat Aaron alle Chancen offen, hier eine Erzählung von Schuld und Sühne zu schreiben, wie man sie noch nicht gelesen hat, davon, wie sich zwar die Schwarzen in den USA in den Sechzigerjahren emanzipieren konnten, aber nicht die Roten.

Im Kern geht es darum, Häuptling Red Crow zur Strecke zu bringen, eine Art lokalem Paten des Glücksspiels und der Prostitution, und auf ihn angesetzt wird der verdeckte Ermittler Dashiell (!!!) Bad Horse, der zufällig auch Sohn der Ex-Geliebten von Red Crow ist. In diesem Dreiecksverhältnis (das relativ schnell keins mehr ist) mit permanent hin- und herspringenden Perspektiven analysiert Aaron das Leben in den Reservaten, so lange, bis der Tony-Soprano-Effekt eintritt und dem Leser der fiese, mörderische Red Crow fast schon sympathischer ist als der ermittelnde Bulle – der macht wenigstens was für seine Leute, die zueist in slum-ähnlichen Verhältnissen vegetieren.

Scalped ist, was Kriminalliteratur im besten Falle immer ist: moralisch verwirrend und, ja, im Wortsinne investigativ. Die Frage, wann HBO daraus eine Fernsehserie macht, ist um so drängender, weil ansonsten mit einer deutschen Veröffentlichung dieser Perle nicht zu rechnen ist.

Niemand käme auf die Idee, Matt Groening zu verklagen. Es wäre vermutlich in jeder Hinsicht ein Selbstmordunternehmen.

Als in der vergangenen Woche die Irland-Episode der Simpsons Deutschland-Premiere hatte, war darin auch eine deutliche Hergé-Referenz zu sehen: Bart hatte als Reiselektüre die amerikanische Ausgabe von Die Krabbe mit den goldenen Scheren bei sich – deutlich war das Cover des Bandes in Großaufnahme zu sehen.

Und natürlich war es eine lobende Hommage – Marge bezeichnete den Band als Barts „Lieblingscomic“. Da würde niemand klagen. Doch nicht für ein Bild. Oder?

Für zwei Bilder verklagt wurde allerdings der Tim & Struppi-Fan Bob Garcia. Tim & Struppi ist auch sein Lieblingscomic. Cory Doctorow berichtet in seinem Blog von einer erfolgreichen Klage, die der Anwalt Nick Rodwell gegen den britischen Tintinologen angestrengt hat. Rodwell ist nicht nur der Rechtsvertreter von Hergés Erben, sondern zugleich der jetzige Ehemann der Hergé-Witwe Fanny.

Bob Garcia hatte demnach vor einiger Zeit fünf Artikel über Tim & Struppi als Hefte auf einer Non-Profit-Basis publiziert (man könnte auch Fanzine dazu sagen) und dabei in zwei Fällen Bilder Hergés zur Illustration verwendet. Die Hefte befassten sich u.a. mit Verbindungen zwischen Tim & Struppi und Sherlock Holmes sowie mit filmischen Anleihen in den Comics Hergés. Die Druckauflage der Hefte lag jeweils unter 500 Exemplaren. Ein britisches Gericht befand Garcia für schuldig: 35.000 Pfund Schadensersatz muß er nun zahlen. Anderenfalls erfolg eine Zwangsvollstreckung.

Natürlich ist Tim & Struppi weiterhin einer der populärsten Comics auf diesem Planeten, mit Übersetzungen in über 50 Sprachen und über einer Viertelmilliarde verkauften Exemplaren weltweit. Die Comics und deren Nachverwertung in allen Formen sind eine Goldgrube – und wer würde eine Goldgrube nicht aufmerksam bewachen?

Aber wie stark? Das gefällte Urteil ist fraglos von extremer Härte. Fans vermuten den 2011 in den Kinos anlaufenden ersten Tim & Struppi-Film von Steven Spielberg als Ursache – die Hergé-Erben sind an den Einnahmen aus diesem und den folgenden Filmen beteiligt: „Mr. Rodwell versucht vor dem Film noch Klar Schiff zu machen, was alles und jeden angeht, der über Tim & Struppi redet, um die absolute Kontrolle über die Marke zu erlangen“, zitiert der Londoner Telegraph Bob Garcia.

Andere Blogs listen akribisch auf, weshalb Rodwell so unbeliebt bei den Fans ist:

Hugues Dayez, the author of Tintin Et Les Heritiers (Tintin And The Inheritors), a very critical view on the way Moulinsart is curating Hergé’s legacy, is also the creator of a documentary film that proved, amongst others, that Moulinsart keeps a black list of journalists and Tintin specialists who are to be discredited at all times.

Inzwischen kursieren Boykott-Aufrufe gegen den Spielberg-Film, der Regisseur selbst wurde von Fans gebeten, schlichtend einzugreifen.

Wie gesagt: niemand würde gegen Matt Groening klagen. Es hat nur dummerweise nicht jeder das Glück, Matt Groening zu sein.

Ich bin Tocotronic-Fan.

Ich bin Carl-Barks-Fan.

Ich kommentier das jetzt mal trotzdem nicht. (Naja, später vielleicht.)

Tocotronic grüßt Entenhausen!
Interview auf www.lustiges-taschenbuch.de

Berlin, 20. Januar 2010 – Die bekannte deutsche Band Tocotronic träumt von einem Auftritt in Entenhausen.

Kurz vor Veröffentlichung ihres neuen Albums „Schall und Wahn“ am 22. Januar machte die Band einen Abstecher in die Stadt an der Gumpe und sprach mit der Redaktion von www.lustiges-taschenbuch.de über Comic-Helden, Jugendsünden und natürlich Musik.

Für Bandmitglied Jan Müller kamen Comics „gleich nach Grimms Märchen. Und man kommt ja aus einer Zeit, so Mitte der siebziger Jahre, als es noch die Debatte gab: ‚Ja, Comics, das taugt nichts! Lies lieber was Anständiges.’ Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie nicht so engstirnig waren und mir das Comiclesen erlaubt haben. Heute ist das ja akzeptiert als Kulturgut.“

Auch musikalisch würde sich die Hamburger Band in der Comic-Metropole wohlfühlen. Bassist Jan Müller möchte für seine Band am liebsten „Gita Gans am Gesang, Beppo Rohr am Bass, Kuno Knäul am Schlagzeug und an der Gitarre vielleicht Rudi Ross“ rekrutieren. Schlagzeuger Arne Zank schwebt eher „so’ne Hardcore-Punk-Band mit den Panzerknackern“ vor.

Viele bunte Einblicke und „Sprechblasen“ gibt’s im „Tocotronic/Entenhausen“–Interview mit allen vier Bandmitgliedern, das in voller Länge auf der Website des Lustigen Taschenbuchs zu finden ist.

Aber was ist spannend an dieser Pressemitteilung? Dass die PM schneller war als die zu verkündende News. Denn: kein Tocotronic-Interview, nirgends, auf der Website zu finden. So schnell schießen die Preußen.

Seltsam – ich kann mich gar nicht erinnern, Lars von Toerne mit irgendwas bestochen zu haben. 😉

Zu den Schmuckstücken des zwei Dutzend Artikel zählenden Sammelbandes zählen eine Handvoll ausführlicher Analysen aktueller Trends, die gut recherchiert und auch für Nicht-Insider flüssig lesbar sind. Wenngleich sie nicht immer mit guten Nachrichten aufwarten, wie etwa Stefan Pannors hervorragende Analyse des aktuellen US-Comicmarktes, dem nicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise arg zusetzt.

Die vielschichtige Analyse des komplexen Geschehens jenseits des Atlantiks durch den Leipziger Fachjournalisten erörtert zentrale Fragen vom Umbruch des Zeitungsmarktes bis zur wachsenden Bedeutung des Internets als Comicforum und gibt so einen Ausblick auf bedeutende Entwicklungen, von denen die meisten früher oder später auch auf den deutschen Markt durchschlagen dürften.

(Aus einer ausführlichen Rezension des Redakteurs in der Online-Ausgabe des Tagesspiegel.)

In anderen Neuigkeiten … Brigitte Helbling bespricht in einem äußerst lobenden wie lobenswerten Text die Comicreihe Courtney Crumrin, die von mir übersetzt wird und deren vierter Band (zusammen mit einer Nachauflage des vergriffenen dritten Bandes) sich derzeit in der Druck-Pipeline befindet:

Fantasy gewürzt mit einer gesunden Dosis Ironie: So könnte das Erfolgsrezept lauten, mit dem sich Ted Naifehs „Crumrin“-Storys in den USA inzwischen bis zur Pflichtlektüre des Comic-Publikums hochgearbeitet haben; für das kommende Jahr hat die 20thCentury Fox sogar einen „Courtney Crumrin“-Film angekündigt. In deutscher Übersetzung kommen die Comics beim kleinen Eidalon Verlag in Brandenburg heraus; im Januar erscheint nun der vierte Band. „Courtney Crumrin und die Ungeheuer der Alten Welt“ schildert eine ausgedehnte Reise von Courtney mit ihrem Onkel, der in Europa Freunden und Verwandten nachgeht und dabei diversen Werwölfen begegnet sowie einer Handvoll Vampiren, die sich zu Courtneys Überraschung als Blutsverwandte herausstellen.

Mehr dazu hier. Von Brigitte Helbling stammt auch das Nachwort zum vierten Band von Courtney Crumrin. Auch hier war keinerlei Bestechung im Spiel. 🙂

Und sooo lobend, wie es mir das Graphic-Novel-Portal unterstellt („das ganz große Lob“), war meine Rezension zu Kirihito doch gar nicht:

Trotzdem bleibt die Handlung immer ein wenig vorhersehbar, letztlich den Konventionen eines einfachen Abenteuerstoffes verhaftet, wie Tezuka sie vorher produziert hatte. Von der Komplexität der späteren Meisterwerke „Buddha“ und „Adolf“ ist diese Erzählung mit ihrem simplen Schwarz-weiß-Moralschema noch deutlich entfernt.

Sind da die Kollegen nicht über die Überschrift des Textes hinaus gekommen? 😉

Stellen wir uns vor, Jesus wäre zurück gekommen.

Und damit meine ich nicht die Ostergeschichte, und auch nicht die sonstige, wie auch immer projektierte Rückkehr des Heilands. Nein, stellen wir uns vor, er wäre nach der Himmelfahrt gleich nochmal umgedreht und nochmal für ein paar Tage auf Erden gewandelt. Und dann nochmal. Und nochmal.

Als Geschichte wäre das gar nicht gut gekommen. Der einzige, der sowas darf, ist Columbo, und das auch nur, weil er Peter Falk ist.

Nun liegt es mir fern, Fix & Foxi mit Jesus oder Peter Falk gleichzusetzen. Aber auffällig ist es schon, wie gering das Interesse an der umpfzigsten Auferstehung dieses Comics ist, der von manchen (die zu faul sind, nach besseren Begriffen zu suchen) als „Kultcomic“ bezeichnet wird, der in den sechziger und siebziger Jahren mal eine ernsthafte Konkurrenz zu den übermächtigen Disney-Comics darstellte, und das noch dazu aus deutscher Produktion (mehr oder weniger – Fix & Foxi-Erfinder Rolf Kauka war bekannt dafür, grade in den Anfangstagen der Reihe preiswerte Zeichnertalente aus dem Ostblock zu engagieren), der aber vor allem in den letzten zwanzig Jahren von massiver Erfolglosigkeit geplagt wird.

Auch historische Bedeutung kann sich eben abnutzen.

Fix & Foxi hat einmal gezeigt, dass es möglich ist, Comics in Massenproduktion in der BRD erfolgreich herzustellen, das ist die historische Leistung des Titels auf dem ansonsten notorisch von Importen geprägten deutschen Comicmarkt. (Martin Jurgeit vermerkt eine Auflage von 400.000 Stück pro Woche auf dem historischen Höchststand mit diesem Konzept.) Spätestens seit dem Ausweichen auf preiswerte spanische Zeichner ab den achtziger Jahren wurde dieses Konzept freilich selbst zu Grabe getragen, und spätestens seit den neunziger Jahren wollte das dann kaum einer mehr lesen – aus dem Wochen- wurde ein Monatstitel, und als in dem ein Bild von Madonna erschien, entzog der ebenso schwer reiche wie schwer konservative Rolf Kauka dem veröffentlichenden Verlag die Lizenz. Das war 1994

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