Archive for März 14th, 2010

Wie nennt man das? Zwischenjubiläum?

Ich bitte um die Zusendung von Zwischenglückwünschen. 😉

Kazuo Kamimura
Furious Love

Manga in Deutschland wird erwachsen. Mit angenehmer Regelmäßigkeit häuft sich die Veröffentlichungen von Stoffen, die ein Mindestmaß an Anspruch auch für Leser über 20 haben, verbunden mit der gleichzeitigen Präsentation in Formaten, für die man sich, wenn man sie öffentlich liest – nun ja, manchmal zumindest weniger schämen muß.

Auffällig ist dabei, wie stark sich vor allem Carlsen Comics, wohl in dem Versuch, Trends zu setzen, aus dem Fundus der Gekiga bedient. Das ist der in den fünfziger Jahren entstandene realistische japanische Comic, der seine inhaltliche Verwandschaft zu den amerikanischen Pulp-Krimis der vierziger und fünfziger Jahre nicht leugnen kann. Was Wunder, war doch nicht nur der amerikanische Hard-boiled-Schreiber Mickey Spillane mit seiner stakkatoartigen Erzählweise erklärtes Vorbild dieser japanischen Zeichnerszene. Auch die Produktionsbedingungen waren ähnliche: für wenig Geld mußte schnell, vor allem aber pünktlich geliefert werden, für Magazine, die ihre Leser wöchentlich mit harten, blutigen, sexuell aufgeladenen Geschichten köderten, und ihren Zeichnern wenig dafür zahlten, in einem konstanten, die Preise drückenden Wettbewerb.

Kunst entstand so auch, denn diese Zeichner waren trotz der miserablen Arbeitsbedingungen oft begeistert bei der Sache. Aber darum ging es nicht. Wie keine andere japanische Zeichnerszene lieferten die Gekiga-Männer (Frauen konnten sich in diesem Genre nicht etablieren) Erzählungen aus dem Bauch, die schnell, direkt und ohne Umschweife zur Sache kamen, und die oft genug die Lebenssituation und die Gefühle derjenigen reflektierten, die diese Comics produzierten. Es war das Aufkommen des Realismus im Manga – Gekiga gab dem japanischen Comic, der bis dahin auf eskapistische Kindergeschichten konzentriert war, die nötige Bodenhaftung und hatte damit dauerhafte Auswirkung auf die gesamte japanische Comiclandschaft.

Was uns zu „Furious Love“ führt. Der handelt vordergründig vom berühmten Maler Hokusai (1760 – 1849), einem der Säulenheiligen der japanischen Malerei. Aber das ist natürlich alles nur Trickserei. Kazuo Kamimura, hierzulande vor allem als Zeichner der drei Bände „Lady Snowblood“ bekannt, die angeblich oder auch nicht Quentin Tarantino zu „Kill Bill“ inspiriert haben sollen, hat kein Interesse an einer historisch akkuraten Darstellung des Lebens des Malers.

Statt dessen schildert Kamimura Geschichten, die ganz offensichtlich dem eigenen Erleben entnommen sind: wie man in den Künstlerkreisen vordergründig Freundschaften pflegt und sich zu Besäufnissen trifft, während hinten rum einer das Werk des anderen (und dessen Verkäufe) argwöhnisch begutachtet. Wie zunehmend die Verlage die Kontrolle über den Bildausstoß (und die Bezahlung der Künstler) übernehmen und damit auch die Inhalte diktieren. Wie einzelne Künstler sich mit dem Zeichnen von Pornografie widerwillig über die Zeiten bringen und andere sich durch die Tage hungern.

„Furious Love“ ist eine Mischung aus Tragik und luftmachenden Eulenspiegeleien, die die dargestellten Künstler in diesem Episodencomic, der eigentlich keine klar definierte Handlung hat, sich und ihren Verlegern spielen. Wobei die größte Eulenspiegelei sicher die ist, dass es Kamimura geglückt ist, ein derart zum Schluß auf fast tausend Seiten angewachsenes hemmungsloses Auskotzen über die japanische Manga-Industrie, nur notdürftig verkleidet als Historien-Comic, tatsächlich veröffentlichen zu können.

Auch in Deutschland konnte dieser Manga wohl nur durch Trickserei platziert werden. Titel und Cover verweisen eher auf eine tragische Liebesgeschichte, als auf das, was es ist: ein ganz sicher nicht erzählerisch herausragender, dafür aber direkter, mitunter derber Einblick in die japanische Comicindustrie für den, der die Erzählung zu entschlüsseln vermag. (stefan pannor)

Carlsen Manga, 360 S.; €14,90

Bei der Gelegenheit verweise ich gleich mal auf verwandte Texte hier: