Archive for April, 2010

Zwischen Sifferpunk und Selbstauflösung – drei Graphic Novels beleuchten, was vom Punk übrig blieb im Jahr Null nach Malcolm McLaren.

+++ Punk-Comics
Siff, Suff und Selbstauflösung +++

von Stefan Pannor

„Punkrock“, hat Joe Strummer angeblich einmal gesagt, „soll unsere Freiheit sein. Wir sollen tun können, was wir wollen.“

Ulli Lust - Heute ist der letzte Tag ...Im Jahr 1984 steht die siebzehnjährige Ulli in Rom. Ulli ist Punk, und sie kann nicht tun, was sie will. In der Stadt spielen The Clash, Strummers Band, und das Konzertgelände ist durch einen gewaltigen Zaun und Security abgeriegelt. Mit der Hilfe von ein paar Freunden schafft es das völlig abgebrannte Mädchen doch noch aufs Gelände. „Wir waren angekommen im Paradies“ beschreibt sie den Moment, als die Band „London Calling“ anstimmt.

Inzwischen lebt die gebürtige Wienerin in Berlin, als Designerin und Comiczeichnerin. Ihre Graphic Novel „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ erzählt davon, wie sie und ihre Freundin nach Italien ausbüchsten, minderjährig, illegal über die (damals noch existierende) Grenze und bis hinunter nach Sizilien.

Es ist eine von drei aktuellen Graphic Novels, die sich mit der Punkszene auseinander setzen. Von allen drei Büchern ist der umfangreiche Comicroman von Ulli Lust der ehrlichste, versierteste und wohl auch der darin schonungsloseste.

Auf 460 Seiten schildert Lust ihren persönlichen Abstieg: Prostitution, Vergewaltigung, Hunger, Drogen und die (mehr …)

Wie üblich verfasst für die Leipziger Comic Combo!

+++ Nicolas Mahler
Pornografie und Selbstmord/ Engelmann +++

Weniger Sexappeal, sagen die Werbeleute, sollten Mahlers Figurenentwürfe haben. Ob er sie denn nicht etwas entschärfen könne?

Pornografie und SelbstmordMan muss Mahlers Zeichnungen gesehen haben, um diese Pointe zu verstehen. Es sind Krakel, Kringel und Kreise, kleine runde Knubbelmännlein mit elipsoiden Zinken, die Mahlers Grafiken bevölkern und unter denen der große, dürre Künstler selbst – denn dies sind autobiographische Comics – herausragt wie ein aufrecht gehender Angelhaken im Vatermörder. Strichmännlein für Fortgeschrittene.

Mahlers Comics sind per definitionem nicht sexy. Überhaupt könnte man sich lange daran abarbeiten, was sie alles nicht sind. Kürzer ist es, zusammenzufassen, was sie sind. Mahler, dieser Verzweiflungsmann, irrt in seinen Geschichten ratlos durch den Alltag wie Alice durch das Wunderland. Sie sind irre.

Kinderspielzeugausstellungen im Louvre, Nachwuchscomiczeichner, die gleich den fetten Vertrag bei einem großen Verlag landen wollen, Mangafans und Meinungsforscher, sie alle bringen Mahler zur Verzweiflung, und das in der Regel auf acht Bildern und zwei Seiten. Die Hölle (mehr …)

+++ Bryan Lee O’Malley
Scott Pilgrim 1: Das Leben rockt +++

Manchmal trifft es einen wie ein Schlag. Auf Bryan O’Malley trifft das zu. Der kanadische Zeichner hatte bis 2004 ein paar von der Kritik wohlwollend aufgenommene, vom Publikum aber kaum beachtete eigene Comics und Auftragsarbeiten abgeliefert (u.a. „Lost at Sea“, dt. bei Modern Tales). Der Wechsel kam mit „Scott Pilgrim“, einem auf sechs Bände angelegten Projekt, das sich durch Mundpropaganda vom Independent-Hit zum veritablen Bestseller entwickelte, als Film lizensiert wurde und sich daraufhin noch besser verkaufte.

Und auf Scott Pilgrim.

Der 23jährige Held der Serie ist sowas wie der letzte Slacker, ein eher antriebslos und etwas realitätsfern durchs Leben gleitender Junge, der in seiner vielen Freizeit in einer Band spielt oder rumhängt. Bis (ja, solche Geschichten haben immer ein „bis“, sonst wären sie langweilig), bis er Ramona Flowers trifft, Amazon-Auslieferin mit Reenee-Frisur und auffallend klobigen Schuhen. Sie ist, im Wortsinn, das Mädchen seiner Träume und Liebe auf den ersten Blick.Leider auch eine Frau mit Vergangenheit. Um Ramona zu kriegen, muss Scott ihre sieben bösen Exfreunde bekämpfen, verflossene Liebschaften, die sich seit der Schulzeit angesammelt haben und die alles daran setzen, dass Ramona nicht mit Scott zusammen kommt.

Das ist dann „Dragon Ball meets Ghost World“ … (mehr …)

Dieses Mal dabei:

  • Brian Reed/ Roberto de la Torre: Ms. Marvel 1 – Best of the Best
  •  Matt Fraction/ Barry Kitson: The Order 1 – The Next Right Thing
  •  Brian Michael Bendis/ Brian Reed/ Jim Cheung: New Avengers – Illuminati

Und klar – nach dem Teaser-Break gehts weiter. 😉

+++ Brian Reed/ Roberto de la Torre
Ms. Marvel 1: Best of the Best +++

Plötzlich hat jeder einen Presse-Agenten.

Vielleicht ist das ja satirisch gemeint, bei den Superhelden-Comics, einem Genre, das im Wortsinne von Menschen handelt, die abgehoben sind, erhoben oder erhaben, fliegen können.

Dass auch diese Menschen sich mit dem Medienalltag herumschlagen müssen und dass sie das nicht mehr allein können im Zeitalter der Handyphones, Society-Blogger, Facebook-Papparazzi.

Jedenfalls: auch Ms. Marvel hat einen. Sie ist, und dass ich das erklären muß, sagt viel aus, eine jener vielen zwischen B- und C-Status hin- und herfluktuierenden Figuren des Marvel-Universums, die gelegentlich mal eine eigene Serie hatte, ansonsten aber größtenteils einfach nur mitgeschleift wurde. Ihre neueste Serie läuft seit 2010 2006, dies ist der Auftakt dazu, es beginnt mit der Erkenntnis, dass man heute auch als Superheld nichts ist, wenn man nicht die richtige PR hat.

So weit, so gewollt satirisch. (mehr …)

Der verflixte zweite Band – jedenfalls für einen Rezensenten, der bei Serien in aller Regel den Text (und damit das Urteil) bereits bei Band 1 in der Tasche haben muss.

Diesmal:

  • Keiji Nakazwa – Barefoot Gen Band 10: Never Give Up
  • Kazuo Kamimura – Furious Love Bd. 2
  • Hisashi Sakaguchi – Ikkyu Bd. 2

Keiji Nakazwa
Barefoot Gen Band 10: Never Give Up

Eigentlich ist das ja schlechtes Benehmen: eine Serie unvollständig zu bringen. Zumal, wenn die Verkaufszahlen stimmen. So wie im Fall von Barfuß durch Hiroshima, den mehr oder minder stark verfremdeten Erinnerungen des Zeichners Nakazawa an den Bombenabwurf von Hiroshima.

Auf Deutsch erschienen vier Bände bzw. rund tausend Seiten der Erzählung vor einigen Jahren bei Carlsen, begleitet von veritabler Medienaufmerksamkeit. (Und noch viel früher, nämlich in den Siebzigerjahren, die ersten 250 Seiten als allererster Manga in deutscher Sprache überhaupt bei Rowohlt.) Im Original umfasst die Serie das Dreifache, sie liegt auf Japanisch und Englisch in zehn Bänden vor.

Carlsen hat jedoch einen weisen Schnitt getan. Denn über die Atombomben-Erinnerungen hinaus handelt Barfuß durch Hiroshima bzw. Barefoot Gen, wie es auf Englisch heißt, vor allem davon, das einmal gefundene Thema nicht mehr loslassen zu können. Nicht unbedingt zum Besten der Erzählung. (mehr …)