Gott ist tabu, Sex ist tabu, Gewalt ist tabu. Comics in der arabischen Welt: eine Austellung in Erlangen zeigt, wie Bildgeschichten in einer Phase des Umbruchs entstehen, von Zensur und Tradition bedrängt.

Als das ägyptische Comicmagazin „TokTok“ vor zwei Jahren erstmals erschien, wurde es unfreiwillig zum Kind zweier Systeme. Das erste Heft erschien im Januar 2010. Das zweite ein Jahr später, nach den Ereignissen des arabischen Frühlings.

Die Geschichte des Kairoer Comicheftes ist symptomatisch für die Comics in der arabischen Welt. Eine Ausstellung im Rahmen des Erlanger Comicsalons widmet sich den Bilderzählungen, die an der jüngsten historischen Bruchstelle entstehen, dem sogenannten arabischen Frühling.

Comics, wie sie der Westen heute versteht, sind jung in diesem Raum.

Natürlich gab es immer schon Bildgeschichten. Vor allem westliche Importe. Herges „Tim & Struppi“ war weit verbreitet. Aus Amerika gab es Übernahmen von Disney-Comics. Arabische Eigenproduktionen waren oft diesen Comics nachempfunden. Harmlose Abenteuergeschichten für Kinder.

In manchen Ländern blockiert diese Tradition bis heute ein eigenständiges Comicgeschehen. Der jordanische Zeichner Hassan Manasrah berichtet, wie es in seinem Land keinen einzigen Verlag gibt, der sowas wie Comics für Erwachsene drucken würde. Keine Kultur, die erwachsene Comics akzeptieren würde. Er muss auf das Internet, auf Facebook ausweichen, um seine Strips zu publizieren.

Das Internet umgeht Zensurgrenzen und überwindet erstarrte Strukturen. Dass seit fünf Jahren ein Comicfestival in Algier stattfindet, das größte des afrikanischen Kontinents, ist laut der Organisatorin Dalila Nadjen dem Internet zu verdanken.

Hassan Manasrah konnte so als Gast gefunden werden. Oder Mohammed Shenawy. Der vierunddreissigjährige aus Kairo ist Initiator von „TokTok“. Der Name leitet sich vom typischen Motorengeräusch der Kairoer Rikshas ab.

Das Magazin enthält Kurzgeschichten verschiedener Zeichner, alle aus Ägypten. Inzwischen ist das Heft bei der sechsten Nummer. Als die erste Ausgabe erschien, wurden fünfhundert Exemplare gedruckt. Sie waren innerhalb von zwei Stunden vergriffen. 1.500 wurden nachgedruckt.

Zweitausend Exemplare ist für ein Land wie Ägypten nicht viel. Aber es ist ein Grund für Optimismus.

Das Heft ist eines der erwachsensten Comicproduktionen aus der arabischen Welt. „Ja“, sagt Manasrah, „die modernen frankobelgischen Comics sind ein großes Vorbild.“ Sein eigener Strich erinnert an den Franzosen Baru.

In anderen Geschichten finden sich der expressionistische Strich einer Marjanne Satrapi („Persepolis“) wieder, oder die waberigen Bilderwelten eines Joan Sfar („Die Katze des Rabbiners“). Alle drei haben in ihren Comics, obwohl in Frankreich produziert, enge Verbundenheit zur arabischen Welt, mitunter in Form einer Hassliebe, gezeigt. Die arabische Comicwelt spiegelt das nun zurück.

Nicht alle arabischen Zeichner sind so reif. Manche der in Erlangen ausgestellten Comics erinnern an Kindergeschichten, wie sie in den Siebzigerjahren oder noch davor en vogue waren. Aus europäischer Sicht wirken sie veraltet. Aber diese Comics entstehen da, wo vorher keine entstanden. Noch ein Grund für Optimismus.

Und dann ist da die Zensur. „TokTok“ behauptet Buch zu sein, obwohl es ein Heft ist. So umgeht es die Vorzensur für Zeitungen und Zeitschriften in Ägypten. Ein mögliches Verbot im Nachhinein kann es so nicht umgehen.

So wie die Graphic Novel „Metro“ des Ägypters Magdy El-Shafee vor einigen Jahren. Angeblich wegen sexueller Freizügigkeit indiziert, vermuten viele Kollegen, dass es die zu genaue Darstellung arabischer Alltags war, die die Zensoren auf den Plan rief.

Noch ist dem „TokTok“, das ebenfalls nicht immer brav ist, nichts geschehen.

Gott ist tabu. Religion ist nahezu tabu. Vor allem wenn es um Würdenträger geht. Für Hassan Manasrah aus Jordanien gilt das auf jeden Fall. Und Mohammed Shenawy muss, auch in der dezenten neuen Kairoer Freiheit, noch vorsichtig sein.

Sex ist tabu. Sterben und Gewalt ist tabu. All das könnte die Zensoren verärgern. In „TokTok“ #5 ist erstmals eine Sexszene enthalten. Brav unter der Bettdecke, zwischen Verheirateten, karikaturistisch überzeichnet. Der Witz als Ausweg vor der Ernsthaftigkeit der Zensur.

„Ich entnehme meine Geschichten meinem Leben“, sagt Shenawy. Aber er verfremdet das Geschehen. Von sich selbst zu erzählen, würde er im aktuellen politischen Klima nicht wagen. „Vielleicht in der nächsten Nummer von TokTok“. Immer dieser Optimismus, im nächsten Heft noch ein wenig mehr wagen zu können.

Vielleicht in der längeren Geschichte, an der er arbeitet. „Es gibt Verlage in Kairo, die lange Comicgeschichten drucken würden“, sagt er. Solche wie seine, wo sich die Kurzgeschichten doch 2.000mal verkaufen. Noch ein Grund, optimistisch zu sein, immerhin ein wenig.

Unredigierte Manuskriptfassung meines Artikels für SPIEGEL-Online. Danke an Mohammed Shenawy für das Interview und die Ausgabe von „TokTok“!

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