Der Rest vorm Fest (17): „Packeis“ von Simon Schwartz
Posted by: Stefan, in JournalistischesDa war doch noch was. Mindestens vierundzwanzig Texte, die schon längst in diesem Blog stehen sollten, aus diesem oder jenem Grund aber nicht hier landeten. Als kleiner Weihnachtskalender finden sie jetzt Verwendung. Heute: Simon Schwarz‘ großartiger Comicroman über die Eroberung des Nordpols.
Die Geschichte des ersten Menschen am Nordpol, dessen Name nicht publik wurde, weil er die falsche Hautfarbe hatte: er war schwarz. Dargestellt als Graphic Novel in schwarz-weiss mit vielen melancholischen Blautönen und auch sonst ganz hervorragend.
Matthew Henson war der erste Mensch am Nordpol. Die Geschichte geht so: der Entdecker Robert Peary schickte, gesundheitlich schwer angeschlagen, seinen Assistenten Henson kurz vor dem Pol voraus. Der ging zuerst über den Pol hinaus, drehte dann aber um und kam fast zeitgleich mit dem ihm folgenden Peary am Pol an. Fußspuren bewiesen, dass Henson zuerst dagewesen war.
Dass heute dennoch Peary als mutmaßlicher Entdecker des Nordpols gilt, hat einen sehr simplen Grund. Henson war schwarz. Erst spät im Leben, mit dem Erstarken der amerikanischen schwarzen Bürgerrechtsbewegung, bekam Henson ein wenig von der Anerkennung, die ihm zustand.
Es ist von besonderem Reiz, diese Geschichte vom schwarzen Mann am weissen Pol ausgerechnet in einer Graphic Novel zu erzählen. Kein erzählendes Medium sonst ist so sehr abhängig vom schwarz-weiss-Kontrast, von Linien als Trennstrichen zwischen den Objekten wie der Comic.
Simon Schwartz nimmt sich des Sujets tatsächlich durch beinahe völligen Verzicht auf Farbe an. Lediglich Blau hat er beigemixt, das aber in so vielen Schattierungen, das tatsächlich der Eindruck von Vielfarbigkeit entsteht.
Wie das Spiel mit den Farben ist die Erzählung ein bewusstes Spiel mit dem Scheinbaren, das Schwartz in dieser Geschichte um Rassismus und selbsternannte Polentdecker – neben Peary beanspruchte auch Frederick Cook für sich, als erster den Nordpol erreicht zu haben – betreibt.
Dazu greift er immer wieder visuelle Motive auf. Das von Tahnusuk, dem Teufel in der Mythologie der Inuit. Oder das von Mahri Pahluk, der mythologisch verbrämten Figur der Inuit, deren Vorbild Matthew Henson war.
Die Anleihen an Inuit-Bildkultur vermengt Schwartz ausgerechnet mit einem grafischen Stil, der der unwahrscheinlichste Kandidat zu sein scheint. Der des „Mosaik“ von Hannes Hegen, von dem er die kantigen Nasen, die wimpernlosen Augen und vieles mehr übernimmt.
Die Schwere des Stoffes bekommt so eine leichte Ironie, einen Hauch von Abenteuercomic, der den ansonsten bösen Stoff erträglich macht. Schwartz verwebt Hensons gesamte Lebensgeschichte, ja sogar die Ereignisse diverser anderer Peary-Expeditionen in dieses Ringen um den Nordpol mit dem eigenwilligen Ausgang und dem Helden, der kein Held sein durfte, weil er die falsche Hautfarbe hat.
Man sollte sich dabei hüten, den Comic als Darbietung der Wahrheit zu betrachten. Neben vielen bis heute historisch ungeklärten Fragen wie der, ob nicht vielleicht wirklich Cook vor Henson und Peary am Pol war, die im Rahmen der Erzählung recht eindeutig beantwortet werden, nimmt sich Schwartz auch diverse historische Freiheiten heraus.
Zugunsten der Dramaturgie verschiebt er Ereignisse im Zeitverlauf. Anders als im Comic etwa dargestellt, verstarb Hensons Frau nach ihm, nicht vor ihm. Eine deutlich korrektere, wenn auch von unzähligen Rechtschreibfehlern geplagte, chronologische Darstellung der Ereignisse findet sich im Anhang des Buches.
Schwartz‘ Erzählung ist kein Lehr- und Aufklärungscomic. Vielmehr handelt er davon, einen Menschen zu verstehen, der lange von der Geschichte übergangen wurde. Also solches ist es, in der polaren Kälte, ein warmer, mitfühlender Comic.
Avant-Verlag, 176 S.; € 19,95
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Dezember 29th, 2012 at 16:17
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