Wie oft kann man Stieg Larssons Weltbeststeller um „das Mädchen mit dem Drachentattoo“ Lisbeth Salander noch verkaufen? Aus drei Romanen wurden bereits vier Filme. Jetzt sollen es nochmal neun Comics werden. Die ersten sind grade in deutscher Spracher erschienen.

„Verblendung“: selten passte ein Titel so gut zu einem Roman wie dieser zur ersten von insgesamt drei grauenerregend trivial runtergerotzten Sex- und Moralschmonzetten des schwedischen Autors Stieg Larsson um den Journalisten Mikael Blomkvist und die freie Ermittlerin Lisbeth Salander, die alle Welt für die hohe Kunst des skandinavischen Krimis zu halten scheint. Sie sind es nicht.

Weltweit wurden mehr als 65 Millionen Exemplare verkauft. Es gibt vier Filme, einer davon immerhin von David Fincher und mit einem Oskar prämiert. Millionen Fliegen können nicht irren. Aber wie oft kann man die immer selbe Geschichte nochmal und nochmal verkaufen?

Antwort: mindestens dreimal. Zumindest wenn es nach den Erben des Autors, Stieg Larssons Familienangehörigen, geht. Drei verschiedene Comicadaptionen der vollständigen Buchserie wurden auf der Frankfurter Buchmesse 2011 angekündigt. Speziell für den japanischen, französischen und nordamerikanischen Markt von verschiedenen Autoren und Zeichnern produziert.

Während die japanische Fassung wohl im kreativen Niemandsland verreckt ist, liegen die französische und US-Fassung jetzt vor. In Deutschland erscheinen sie praktisch zeitgleich, im Original liegt ein gutes halbes Jahr Abstand zwischen ihnen.

Nordamerika war zuerst da, dort erschien der erste Teil von „The Girl with the Dragon Tattoo“, wie der gängige amerikanische Titel von Larssons erstem Buch ist, Ende November 2012. Bei Vertigo, einem Unterlabel des Superhelden-Verlages DC Comics.

Eigentlich eine gute Adresse. Autoren wie Alan Moore und Neil Gaiman erlebten bei Vertigo ihren internationalen Durchbruch. In den Neunzigerjahren galt das Label als erste Anlaufstelle für literarische Comics. Seit geraumer Zeit schwächelt es freilich. Die Verkaufszahlen sind im Keller, neue Talente vom Rang eines Gaiman oder Moore nicht in Sicht.

Stattdessen gibt es Denise Mina, selber Krimiautorin und vorher Texterin diverser eher mäßiger Hefte des Okkultcomics „Hellblazer“ bei Vertigo. Ihre Aufgabe, den voluminösen Roman in ein Skript für 160 Seiten Comic umzuwandeln, ist undankbar. Larssons Buch ist letztlich ein unstrukturiertes Sammelsurium aus einem vierzig Jahre zurückliegenden Mord, Wirtschaftskriminalität, sexuellen Sadismus, penetranten Anklagen an das schwedische politische System.

Statt aber die wirre Geschichte zu entrümpeln und auf das Wesentliche zu beschränken, versucht Mina, jede Sequenz in möglichst eingedampfter Version auf 160 Seiten einzubauen.

Ein aussichtsloses Unterfangen. Die Geschichte holpert und ruckelt, springt in Winzsequenzen zwischen den Akteuren hin und her. Wo keine Luft zum Erzählen ist, bleibt auch den Zeichnern, es sind gleich zwei, kaum mehr zu tun, als die Figuren sich mit dem ewig gleichen Gesichtsausdruck Marke „skandinavisch bedröppelt“ anstarren zu lassen.

Landesweit schaltete Vertigo in den USA TV-Spots, um „The Girl“ zu bewerben. Gelohnt hat es sich nicht: der US-Medienanalyst Nielsen und der Comicvertrieb Diamond verzeichnen jeweils nur wenige tausend abgesetzte Exemplare für Nordamerika.

Ob die französische Comicfassung von „Les Hommes qui n’aimaient pas les femmes“ so der französische, deutlich stärker an das schwedische Original angelehnte Titel von Roman und Adaption, erfolgreicher wird, bleibt abzuwarten. Erschienen ist sie im Original Ende März.

Sylvain Runberg, sonst als Comictexter eher im Bereich der Science Fiction und Fantasy aktiv, macht, was Denise Mina sich nicht traute. Er schmeisst jede Menge unnötige Sequenzen, Rückblicke, langatmige Erörertungen, zu denen Larsson im Übermaß neigte, unbekümmert raus.

Überhaupt scheinen weder er noch sein Zeichner die Sache sonderlich ernstzunehmen. Blomkvist rennt manchmal grinsend wie ein Honigkuchenpferd durch das schwedische Hinterland-Gemetzel, wie überhaupt alle Figuren stark karikaturistisch verzerrte Züge, Proportionen, Mimik und Gestik aufweisen. Ob es das ist, was sich Larssons Erben als Comic gewünscht haben – eine Beinahe-Parodie? Aber immerhin macht es Spaß.

Zwei Comicbände fassen in Frankreich einen Roman. Plus die drei Bände der amerikanischen Adaption sind es neun weitere Bücher, auf deren Cover der Name Stieg Larsson steht, größer als selbst der Titel der Bücher, geschweige denn der Autoren und Zeichner. Neun weitere Larssons – wenn es schon sonst keinen freut, den Buchhandel wird’s freuen.

  • Denise Mina/ Leonardo Manco/ Andrea Mutti: Verblendung; Panini Comics/ Vertigo, 160 S.; € 16,95
  • Sylvain Runberg/ José Homs: Verblendung Bd. 1; Splitter-Verlag, 64 S.; €14,80
  • Unredigierte Manuskriptfassung des Artikels für SPIEGEL-Online.

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