Garth Ennis im Extrem: das in den Neunzigerjahren erschienene „Dicks“ ist keine Jugendsünde des irischen Autors, sondern in seiner ganzen versoffenen, zugekotzten Pracht womöglich der ehrlichste Ennis, der seit langem auf deutsch zu lesen war.

1989 erschien „Troubled Souls“ (dt. „Zerbrochene Herzen“ bei Bastei), Garth Ennis‘ erste Veröffentlichung als professioneller Comictexter, gezeichnet von John McCrea.

Der pur, aber gut auf den Massenmarkt hingeschriebenen Liebesgeschichte aus dem Nordirland-Konflikt folgte kurz darauf „For a few Troubles more“ (ebenfalls dt. bei Bastei), in dem Ennis zwei Nebenfiguren aus ersterem Titel, Dougie und Ivor, aufgriff, alle ernstgemeinten Emotionen fahren ließ und ein wildes Garn über schwarzgebrannten Schnaps, lokale Gangster und Kneipendrosseln schrieb.

Als eben dieser Episode Mitte der Neunzigerjahre unter dem Titel „Dicks“ diverse weitere Fortsetzungen folgten, war der einstmals ernsthafte Ursprung gar nicht mehr zu erkennen. Die Geschichte, irgendwas mit untoten Gangstern, Drogenhändlern und Abführmitteln, spielte zwar noch in Dublin Belfast, konnte aber eigentlich überall passieren, wo eine billige Kaschemme rumsteht und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Und sie war auch egal.

McCreas drastisch veränderter Zeichenstil zeigte, wo’s in den Heften lang ging. War „Troubled Souls“ noch einen realistischen, detailierten Stil gehalten, wirkten McCreas Zeichnungen nun krude, zeichnerisch unfertig, verzogen, verzerrt. Das Gekritzel oft bis an die Grenze des Erkennbaren war nötig, denn der Inhalt war extrem. „Dicks“ ließ die Grenzen des guten Geschmacks weiter als jeder andere Ennis-Titel der Neunzigerjahre hinter sich. Hier wurde in vorher kaum und später selten gekannten Ausmaß geflucht, gepisst, geschossen und geschissen, gemetzelt, kastriert und getrunken.

Es ist die einzige mir bekannte Serie, deren Titel zugleich die einzige, immer wieder wiederholte Pointe ist: „Dicks“ steht im englischen sowohl für das männliche Genital als auch für Deppen, Schlappschwänze, und für Privatdetektive. Nein, das ist nicht metaphorisch gemeint. Wie Jungs, die das Wort „Ficken“ im Telefonbuch nachschlagen, reden Ennis und McCrea einfach gerne so. „Dicks“ ist ein gewaltiger, hyperpubertärer Spaß um diverse Totalversager.

Muss man den Spaß teilen? Nein, gar nicht. Das ist nicht „Preacher“, nicht mal das viel zu wenig beachtete „Hitman“ oder irgendein anderer Ennis-Comic, der kruden Humor mit cleveren Dialogen und netten, wenn auch manchmal banalen Einsichten über das Leben mengt und zu einem an sich befriedigenden Ganzen bringt. „Dicks“ hat so viel Plot wie ein durchschnittlicher Porno (aber mehr Körperflüssigkeiten). Wenn man dem Band einen tieferen Sinn abgewinnen will, dann höchstens darin, dass sich hier in sehr (sehr!) rauer Form viele Konzepte finden, die Ennis & McCrea kurz darauf in „Hitman“ deutlich feiner und eleganter umsetzten. (Vor allem die verquere Freundschaft der beiden Hauptfiguren.)

Andererseits ist „Dicks“ grade wegen seiner gnadenlos hirnrissigen Art, der Pointen- und Fäkaliendichte beachtenswerter als viele von Ennis‘ seiner Comics vor allem aus den letzten zehn Jahren. Die lasen sich oft genug, als würde der Autor sich selbst, und schlecht noch dazu, imitieren. „Dicks“ macht Spaß, wenn es einem glückt, den pubertierenden Buben in sich rauszukitzeln, und sei es nur um sich zu freuen, dass einen die Pubertät nicht so hart erwischt hat wie die beiden Jungs hier.

Gar keinen Spaß macht dagegen die deutsche Aufbereitung von „Dicks“. Natürlich, der Band, der im Original massiv mit diversen Dialekten spielt, ist ein undankbarer Job, der nur sehr schwer angemessen zu übersetzen ist.

Aber neben einer Vielzahl Rechtschreibfehler („Lakei“!) und diversem Dummdeutsch („Ich kastrier dir die Eier!“) sind da eben auch Passagen, die klarmachen, dass die Übersetzerin den Text nicht ganz verstanden hat. Aus „Here lies oul Shugge Thompson. Aw, he was terrible clever. He could’ve put his hand to anything, but he never“ etwa wird „Hier ruht unser Shuggie Thompson: Er war ein total cleverer Bursche, aber er hat nie“. Was nicht nur nichts mit dem Original zu tun hat und en Reim unterschlägt, sondern auch keinen Sinn ergibt.

Derlei bizarre Pointenunterschlagungen, merkwürdig ratlose Verdrehungen, die nicht nur falsch sind, sondern vor allem, siehe oben, nicht witzig, finden sich leider zu Hauf im Text. Das ist schade.

180 S.; €16,95

Comments are closed.