Fast schon ein Trend: mindestens vier True-Crime-Comics sind in den letzten 12 Monaten erschienen. Neben Backderfs „Mein Freund Dahmer“ und „Vassmers Bruder“ von Peer Meter (dazu später mehr) die Geschichte des „Green River Killer“ – bezeichnenderweise alles drei Serienkiller-Geschichten.

Sowie, deutlich politischer, „Entführt“, vor dem Hintergrund der Fujimori-Diktatur in Peru.

True Crime hat ein narratives Problem: reale Verbrechen und reale Verbrechensaufklärung halten sich meist nicht an die Erzählregeln, wie wir sie sonst vom Krimi gewohnt sind.

Die Auflösung mag banal erscheinen, wie bei Jeffrey Dahmer, der von zwei Streifenpolizisten ganz unbeabsichtig gefasst wurde.

Oder die Polizeiarbeit ist so langwierig wie langatmig wie beim Fall des Green River Killer, der von 1982 bis 2001 mordete – fast ebensolang dauerten die Ermittlungen.

Die jahrzehntelange Ermittlungsarbeit schildern zu wollen, ist im Rahmen eines Comic praktisch aussichtslos, zumal der Fall naturgemäß von viel Leerlauf geprägt war. Die nacherzählende Graphic Novel beschränkt sich also darauf, vor allem das Verhör des gefassten Mörders zu schildern sowie die letzten Monate der Ermittlungen.

Aber auch derart konzentriert bleibt der Fall immer noch schwer fassbar. Das ist ganz sicher dem Skript anzulasten, das drei Dinge gleichzeitig sein will: Vernehmungsraum-Drama, Psychogramm eines der ermittelnden Detectives und eben Psychogramm des Killers, dessen genaue Opferzahl bis heute strittig ist.

Statt sich zu ergänzen, rempeln sich die drei Erzählebenen gegenseitig aus dem Weg. Der ausführlich geschilderte Weg von Detective Jensen (dem Vater des Autors – und die Bewunderung des Sohnes für den Vater spürt man) vom Soldaten zum Sonderermittler steht wie ein Fremdkörper in der Erzählung. Das Private des Cops, dort angedeutet, bleibt belanglos für die Erzählung, ohne Konsequenzen im Erzählstrang.

Solche Sequenzen finden sich immer wieder. Sie sollen wohl das Menschliche der Ermittler herausarbeiten (welcher Leser würde zweifeln, dass es sich um Menschen handelt?), bleiben aber blass, geben den Personen keine zusätzliche Dimension.

Warum also sind sie drin? Am besten ist das Buch in der dokumentarischen Schilderung der Vernehmungen und Tatortbegehungen mit dem gefassten Täter. In der durch die naturalistischen, ohne jede Übertreibung auskommenden Zeichnungen eben genau darum erschreckend wirkenden Nacherzählung der Ereignisse.

In grimmiger Nüchternheit verlassen sich Jensen und Case auf Unterlagen und Augenzeugenaussagen bei der Rekonstruktion des äußeren Geschehens. Diese Teile des Buches, für sich allein stehend, hätten es sehr gut gemacht. Der Versuch, es durch psychologisierende Elemente um zusätzliche Komponenten zu bereichern, zerreißt es. Am Ende bleibts ein Krimi, der Dokumentation sein will, aber am Ende doch so sehr menschelt wie ein „Tatort“.

Das Problem von „Entführt“ ist vordergründig ein ganz anderes. Nämlich die scheinbare Banalität des Geschilderten. Wen reisst eine Entführung in Zeiten der Serienkiller- und Milliardenraub-Krimis noch vom Hocker?

Tatsächlich ist der Fall simpel: eine junge Frau wird entführt, eine unanständig hohe Summe wird als Lösegeld gefordert. Der Fall ist real, er geschah 1997, das Opfer ist die Freundin des Autors.

Aber ebenso tatsächlich ist das Problem des Buches in Deutschland ein ganz anderes. Vieles, was die Geschichte spannend macht, dürfte den wenigsten Lesern bewusst sein.

Dass die Ereignisse vor dem Hintergrund der Fujimori-Diktatur stattfinden, einem ebenso korrupten wie der überbordenden alltäglichen Kriminalität gegenüber praktisch inaktiven Regime. Dass die Sicherheitskräfte dennoch gleichzeitig bis ins Paranoide angespannt sind, weil die Entführung nur wenige Monate nach der Stürmung der japanischen Botschaft in Lima durch linksgerichtete Rebellen stattfindet, und das Entführungsopfer Angehörige eines Politikers ist.

Lateinamerikanische Politik ist in Deutschland oft nur eine Randerscheinung. Die Spannung des Buches, die sich aus dem Wissen um diese Hintergründe ergibt, die viele Handlungen sowohl auf Seiten der Sicherheitskräfte wie auf Seiten der Familie des Opfers erst verständlich machen, ergibt sich freilich zum Großteil daraus. Hier wäre ein erklärendes Vorwort sicher angebracht gewesen.

Denn Autor und Zeichner erklären nichts. Wozu auch? „Entführt“ ist größtenteils für den spanisch- und lateinamerikanischen Markt gemacht, wo diese Hintergründe deutlich präsenter sind als im in der Regel doch sehr auf sich konzentrierten Mitteleuropa.

Damit geht „Entführt“ im Grunde den gegenteiligen Weg der „Green River Killer“-Graphic Novel. Das Geschilderte ist rein dokumentarisch, ganz ohne unnötige Erklärungs- und Psychologisierungsversuche: ein Verbrechen ist begangen worden und Folgeprozeße treten in Gang.

In seiner Sachlichkeit ist „Entführt“ sicher das bessere der beiden Bücher, vorausgesetzt man hat den sozialen und politischen Hintergrund der Ereignisse parat.

Jeff Jensen/ Jonathan Case: Green River Killer; Carlsen Comics; 240 S.; €18,90
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Hernan Migoya/ Joan Marin: Entführt; Panini Comics,260 S.; € 24,95
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One Response to “Aktuelle Comicrezension (238): 2 x True Crime”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » 50 Schatten von Schwarz says:

    […] 2 x True Crime […]