Naoki Urasawa schreibt in „Billy Bat“ die Geschichte der westlichen Zivilisation und des westlichen Comics. Vor allem aber schreibt er einen atemberaubenden Pageturner um Verrat, Mord und Intrige.

Wer hat Micky Maus erfunden? Ub Iwerks wars, und nicht Walt Disney. 1925 war das, und genau wie das Design der Maus stammen die ersten Micky-Trickfilme praktisch im Alleingang aus Iwerks Tuschefeder. Kurz danach verkrachte er sich mit seinem Kumpel Walt, versuchte erfolglos mit einem eigenen Trickstudio den permanent wachsenden Disney-Studios Konkurrenz zu machen, nur um nach zehn mäßigen Jahren zu Disney zurückzukehren.

Wer weiss das schon? Japaner vermutlich nicht. Der japanische Comicmarkt ist der autonomste der Welt. Sämtliche Marktbedürfnisse werden von der gewaltigen einheimischen Comicindustrie gedeckt. Selbst für westliche Augen äußerst japanophile Comics – etwa „Usagi Yojimbo“ von Stan Sakai – haben in Japan keine Chance.

Seit der Mangapionier Osamu Tezuka sich seine ersten Striche ausgerechnet von den Disney-Cartoons abgeguckt und seinen ersten Manga gezeichnet hat, gilt die eherne Regel, dass Japan Comics ex-, nicht importiert. So wie dem Japaner seine klassischen Mangas heilig sind, so wenig hat er in der Regel Ahnung von der Comic- und Zeichentricktradition anderer Länder.

Das muss man wissen, um die besondere Rolle von Naoki Urasawas Comics in Japan einschätzen zu können, und von „Billy Bat“ im besonderen. Da geht es, neben vielen, vielen anderen Themen, auch um zwei Comiczeichner.

Der eine, Kevin Yamagata, erfindet die titelgebende Figur des Billy Bat, ein hardboiled-crime-Comic im Batman-Stil. Der andere, Chuck Culkin, macht sich bei erstbester Gelegenheit mit der Figur und allen Rechten aus dem Staub, macht aus der Figur einen launigen Kindercomic, gründet einen Vergnügungspark namens Billyland und moderiert eine Fernsehshow unter Billys Namen. Oh, und er sieht aus wie Walt Disney.

Sofern die japanischen Magazine, in denen „Billy Bat“ im Vorabdruck erscheint, keine Anmerkungen zu den Comics veröffentlichen, dürfte schon diese Referenz den meisten Lesern entgehen – und die ist immerhin plottragend für mehrere Bände der Serie.

Aber es ist nicht die einzige. Wollen wir das Verwirrspiel ein wenig weiter treiben? Dann ist da noch Oswald, hier im Manga ein obskures Killerkarnickel aus Yamagatas Zeichnerfantasie. „Oswald, the lucky Rabbit“ war die erste Zeichentrickfigur, die Disney und Iwerks gemeinsam kreierten – nicht nur grafisch ein Vorgänger von Micky Maus. Lee Harvey Oswald war der mutmaßliche Mörder, der John F. Kennedy erschoß. Wer nun wird aus Yamagatas Fantasie auf den Präsidenten angesetzt? Richtig, Oswald, das tödliche Karnickel. Oder der echte Oswald. Man weiss das nicht so genau, weil sich die Ebenen von echt und falsch, Comic und Realität sowieso dauernd mischen.

Falls ich Sie bis hierhin verwirrt habe und Sie glauben, diesen Comic, der sich in obskuren Referenzen ergeht, sowieso nicht zu verstehen, möchte ich sie beruhigen: „Billy Bat“ ist mit das Spannendste, was derzeit am Markt erscheint.

Man muss das nicht wissen, was ich eben geschildert habe. Man muss nicht die Anspielungen an Batman, Will Eisner, Carl Barks und die EC-Horrorcomics verstehen, um hieran seinen Spaß zu haben. Aber es hilft.

Vordergründig ist „Billy Bat“ reine, schiere Unterhaltung. Es ist die Geschichte einer gewaltigen Verschwörung, oder vielleicht sogar einer göttlichen Intervention, die mit dem Symbol einer Fledermaus die gesamte Menschheitsgeschichte beeinflusst hat und die sich, ausgerechnet, im Werk eines gescheiterten Comiczeichners öffentlich zu erkennen gibt.

Der Bogen ist weit gespannt, von Jesus bis zur Mondlandung. Bewegt sich aber immer innerhalb vertrauter historischer Parameter. Spätestens wenn Yamagata versucht, das JFK-Attentat zu verhindern, weil ihm eine Comicfigur das eingeflüstert hat, spielt Urasawa das klassische Riff des Politthrillers vom Außenseiter, der von allen für bekloppt gehalten wird, aber als Einziger die Wahrheit kennt. Da zeigt sich, was Urasawa wirklich am Besten kann: atemberaubende Pageturner raushauen.

Mit Riffs kennt sich Urasawa aus, neben Mangas veröffentlicht er auch Rockalben. Wie er überhaupt das enfant terrible der japanischen Comiczeichner ist. Seit Jahren macht er in seinen Mangas immer wieder das, was japanische Redakteure nun wirklich nicht wollen.

Sein Serienkillermanga „Monster“ spielte zu weiten Teilen in Düsseldorf, einer Stadt, die weder japanisch ist noch für Japaner einen besonderen Glam besitzt. (Selbst für Deutsche scheint sie krimitechnisch uninteressant zu sein: nicht mal einen eigenen „Tatort“ hat sie.) In „20th Century Boys“ starb die Hauptfigur der Serie nach weniger als der Hälfte der Geschichte, nur um viele viele Bände später aufzuerstehen, als praktisch alles vorbei war.

Und obwohl eben dieses „20th Century Boys“ seinen japanischen Lesern bändelang in atemberaubender Bravour, mit Chuzpe und Verve um die Ohren knallte, dass die ganzen Kindheitsträume von atemberaubenden Fights gegen gewaltige Monstren, wie man sie in den Mangas von Altmeister Osamu Tezuka lesen konnte, ziemlicher Blödsinn waren, produzierte Urasawa gleich darauf mit „Pluto“ einen mehrbändigen Tribut an Tezuka.

Womöglich muss man das machen, um in Japan Erfolg zu haben. Der Markt ist übersättigt, der Erfolgsdruck bei Zeichnern gewaltig, auch weil permanent Nachwuchs nachdrängt. Erfolg haben in der Regel die, die sich entweder sehr gut anpassen oder die Erwartungshaltung des Publikums geschickt brechen. Urasawa ist der Meister in letzterem.

Die Anspielungen auf die westliche Comickultur, die Urasawa in „Billy Bat“ zuhauf einbaut, auf denen er sogar weite Teile des Plots basiert, dürften sich den meisten japanischen Lesern so sehr entziehen, wie ihnen die Geschichte von Disney und Iwerks unbekannt ist. Anders der hiesige Leser. Wer mit Donald Duck, Micky Maus und Batman aufgewachsen ist, wird in den immer wieder eingestreuten falschen Comicseiten viel Vertrautes entdecken. Die Geschichte der Comicfigur Billy Bat, die da als Nebenhandlung durchläuft, ist zugleich eine Geschichte des amerikanischen Comics nach dem Krieg.

Erstaunlicherweise scheint das Vertraute dem Erfolg eher im Weg zu stehen. Während Urasawa in Japan Millionen Stück seiner Bücher verkauft, schreiben seine Comics in Deutschland durchgängig rote Zahlen. Das war bei „Monster“ so, bei Urasawas Opus Magnum „20th Century Boys“, das von Panini nur mit viel Mühen zu Ende gebracht werden konnte, und bei „Pluto“. Auch „Billy Bat“ soll sich dem Vernehmen nach eher überschaubar verkaufen. Eine wirkliche Erklärung gibt es dafür nicht. Urasawa ist eben der Prophet, der im fremden Land nichts gilt.

Das kann, das sollte sich schleunigst ändern. Womöglich ist der ausstehende Erfolg von Urasawa in Deutschland sogar ein Argument, ihn gefälligst zu kaufen: wer jetzt anfängt, „Billy Bat“ zu lesen, kann das mit dem Gefühl tun, dass er zu einer kleinen Gruppe von Lesern gehört, die einen wirklich exzellenten Comicgeschmack haben.

– Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki: Billy Bat, Carlsen, bislang sieben Bände, jeweils 220-240 S., jeweils 8,95 €

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