Als Popeye-Erfinder Segar 1938 starb, war Bud Sagendorf einer seiner legitimen Erben – er durfte die Figur in die Fünfziger- und Sechzigerjahre transportieren. Ein Auswahlband macht mit Sagendorfs Interpretation des spinatschlingenden Seemanns bekannt.
Als Elzie Segar 1938 starb, konnte er gerade mal erahnen, wie groß der Ruhm seiner Figur Popeye noch werden würde. Er hatte den Seemann rund zehn Jahre zuvor als Nebenfigur geschaffen und dann immer weiter zur Hauptfigur ausgebaut, um die herum sich ein Panoptikum burlesker Figuren reihte. Der Erfolg gab ihm recht: schon 1932 kamen die ersten kurzen Trickfilme mit Popeye in die Kinos. Spätestens da war der polternde Seemann das, was wir heute Pop nennen: voll ins Auge!
Segars früher Tod war aber mehr noch der Abbrucheiner Entwicklung. In den zehn Jahren waren Figur und Figurenkosmos beständig erweitert worden. Mit Segars Tod setzte ein Stillstand, später eine Rückentwicklung ein, die sich nicht nur im Strip zeigte, sondern auch in den Comicheften, die ab den Fünfzigerjahren erschienen.
In denen war Popeye schon lange nicht mehr der Seemann, in vielen Geschichten taucht das Meer nicht einmal am Rande auf. Wo Segar seinen Helden auf große Reise schickte, machte Bud Sagendorf – der fast alle Popeye-Hefte schrieb und zeichnete – den Seemann zum Vorstadt-Reihenhaus-Gatten: Popeye, the Suburbian.
Die Degeneration zeigt sich auch in den Plots. Die Topoi aus Boxwettkämpfen, den unvermeidlichen Widersachern um die Gunst der dürren Olive Oil und stets scheiternden get-rich-quick-Plänen muss schon in den Fünfzigerjahren abgenutzt gewirkt haben, als seit jahrzehnten beständiges Element einer Vielzahl Comicserien.
Würde Sagendorf nicht Popeye und diverse andere Figuren verwenden, man müsste fragen, weshalb die Serie ihren Titel trägt. Sehr viel mehr stehen diese Comics in der allmählich aufblühenden Art der Vorstadt-Sitcoms, die sich mal mehr, mal weniger realistisch mit dem Alltagsleben junger Paare beschäftigten, vor allem „Verliebt in eine Hexe“ und „Bezaubernde Jeannie“.
Dabei durchläuft auch das Figurenverhältnis eine verblüffende Veränderung. War in Segars Strip der verfressene Wellington Wimpy noch eine eher normale gestalt, die Erdung und Kontrast zu Popeyes Eskapaden bot, ist er bei Sagendorf eher so etwas wie der verrückte Onkel (ebenfalls ein aus Fernsehserien bekanntes Klischee), den Popeye als normaler Mensch immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen muss.
Es ginge zu weit, wenn man sagt, dass Sagendorf Segars Serienkosmos verraten hat. Er hat ihn, sicher auch aus wirtschaftlichen Interessen, an die Geschmäcker der Fünfzigerjahre angepasst, deren bevorzugte Themen, Darstellungsweisen und Weltsicht.
Aber es fällt eben auf, dass Segars originale Comics weiterhin sehr lebendig lesbar sind und als Abenteuercomics mit geringer Anbindung an die Realität kaum gealtert. Wogegen über Sagendorfs Erzählungen, die zu ihrer Entstehungszeit stark geerdet und modern waren, eine dicke Patina liegt.
Aber was rede ich: das ist nur mein Geschmack. In den USA, wo Fantagraphics nur mit Mühe die Gesamtausgabe aller Segar-Strips beendet hat, liegen inzwischen diverse Ausgaben mit Sagendorfs Comics vor (auf einer davon beruht die deutsche Ausgabe). Sagendorfs Geschichten, die den Leser wenig fordern, über Popeye den Nicht-Seemann, sind offenbar besser an den Mann zu bringen als das Original. Schade drum.
Bud Sagendorf
Popeye – Die Spinat-Edition
Egmont, 176 S.; €29,99