Zwei Manga-Rezensionen: Satoshi Kons brillantes Meta-Epos „Pus“, und das deutlich geradlinigere „Prophecy“.
Satoshi Kon
Opus (Carlsen)
Sechs Personen auf der Suche nach einem Autor: das Film- und Mangawerk des frühverstorbenen Anime-Regisseurs Satoshi Kon war immer wieder von der Frage nach der Natur der Realität und dem Spiel mit Wirklichkeitsebenen durchdrungen. Im relativ spät entstandenen Manga Opus (CARLSEN) steigert der Otomo-Schüler das bis in höchste Ebenen. Hier gelangt erst der Mangazeichner durch einen Unfall in die Welt seiner Geschichte, anschließend die Figuren in seine Welt. Die aufsehenerregenden Visuals, mit denen Kon das umsetzt, verweisen darauf, dass es sich bei „Opus“ wohl eigentlich um ein Anime-Projekt handelte. Die selbstironischen Hiebe darauf, wie klischeehaft jene Welt ist, in die der Autor da stolpert, um von seinen Figuren gehetzt zu werden, ist Satire auf die oft künstliche Plotentwicklung vieler serieller Mangas. Und spätestens, wenn um ihn herum die Wände einstürzen, weil er sie im original nachlässig gezeichnet hat, und der Zeichner und seine Figuren als Riesen in Kulissentrümmern hocken, darf man auch an „Little Nemo“ denken. Ein toller Spaß. STEFAN PANNOR
Tetsuya Tsutsui
Prophecy (Carlsen)
Das Internet ist böse, gefährlich und gemein – weshalb die Tokyoter Polizei eine Cybercrime-Abteilung einrichtet. (Prophecy, CARLSEN) Die darf sich als erstes freilich nicht mit amoklaufenden Trollen beschäftigen, sondern mit einem Sozialkrieger, der – verwickelt, verwickelt – seine Verbrechen auf Youtube hinter einer Maske und verschleierter IP ankündigt, statt sie einfach zu begehen. Der Plot stapst stur die Spuren bekannter, vor allem skandinavischer Krimiserien nach, wo die attraktive und eigenwillige Kommissarin in einer Männerwelt einen grenzgenialen Gauner jagt, der seine Verbrechen brav vorher ankündigt und trotzdem unaufhaltsam ist. Das ginge noch okay, wären da nicht die ellenlangen Moralpredigten: es gibt also tatsächlich Leute, die sich im Internet an Leid und Streit aufgeilen? Isses wahr, Frau Kommissar? STEFAN PANNOR
Entstanden im Juni 2015 für COMIX, teilw. unveröffentlicht.