Der große Entenhausener Roman? Mag sein? Auf jeden Fall ist die Multi-Generationen-Saga von der europäischen besiedelung Nordamerikas ein breit angelegtes Epos – mit Micky Maus.

Suchen wir Poesie in Disney-Comics, suchen wir sie selten in den europäischen Produktionen. Aus Gründen, die noch zu erforschen sind, hat das Element der Poesie, das sich in den Comics von Barks findet, mit Abstrichen Gottfredsons und durchaus auch Taliaferros, also bei den großen Drei der klassischen Disney-Comics, nicht den Sprung über den großen Teich geschafft, als sich die Disney-Comicproduktion mehr und mehr nach Europa verlagerte.

Das mag an der typisch amerikanischen Art der Poesie gelegen haben, am Whitmanschen Ideal der Natur, kombiniert mit dem Bild vom zupackenden Menschen, auch an der tiefen Verinnerlichung des manifesten Schicksals, sich das Land untertan zu machen, das bei vielen Reisecomics von Barks und Gottfredson durchschimmert. Diese Dinge sind europäischen Erzählern zwingend fremd.

Um so verblüffender, dass einer der amerikanischsten Disney-Comics ausgerecnet aus Italien kommt, mehr noch, dass er bis dato am ehesten dem Bild einer Comic-Großerzählung (vulgo Graphic Novel) entspricht. Selbst die bisher als Maßstab geltende Lebendsgeschichte Dagobert Ducks von Don Rosa („Sein Leben, seine Milliarden“) erlangte erst durch nachgeschobene Einschübe und Erweiterungen ihre letztliche Größe. Hier dagegen ist alles von Beginn an geplant.

Also der große Entenhausener Roman? So ein wenig. „Es war einmal in Amerika“ (der deutsche Titel ist an Sergio Leone angelegt, und auch wenn es nur Übersetzerhumor ist, deutet er klug auf die kulturelle Transitionsleistung von Leone hin, der ebenfalls Italiener war und ebenso in seiner Amerika-Trilogie dem Kontinent ein größeres filmisches Denkmal schuf als irgendein anderer Regisseur) lässt sich am ehesten als Familiensage lesen, was in sich schon ein Bruch mit den Mechanismen der Disney-Comics ist: da gibt es für gewöhnlich Onkels und Tanten und Omas, aber keine Eltern.

Hier schon. Über drei, vier Generationen hinweg erzählen Giorgio Pezzin und (größtenteils) Massimo de Vita die Geschichte der europäischen Eroberung des nordamerikanischen Kontinents.

Beide sind Vielschreiber bzw – zeichner, die ihre Plots eher routiniert entwickeln. So sollte uns der Mangel an Überraschungen in der Handlung nicht überraschen. Ebensowenig die wohl redaktionell bestimmte Entschärfung vieler zentraler Punkte der amerikanischen Geschichte. Obwohl die Figuren stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, finden weder Sklaverei noch die Ausrottung der Indianer Erwähnung.

Wer diese Verharmlosung schlucken kann, wird mit einer rbeit angelegten, und aus der Breite heraus resultierend poetischen Erzählung belohnt: eine Multi-Generationen-Saga, die sich über einen ganzen Kontinent und ein Dutzend Figuren erstreckt.

Die Figurenführung selbst ist dabei durchaus als zusätzliche Metaebene zu begreifen. Von Osamu Tezuka wird berichtet, dass er seine Figuren wie Schauspieler sah: er hatte ein Kernensemble, das er in verschiedenen Geschichten in immer anderen Rollen auftreten liess.

Ähnlich hier: Micky ist der Sohn von Micky ist der Sohn von Micky, der bei seinen Abenteuern auf eine fast unendliche Abfolge ganz verschiedener Goofys trifft. Die, auch das eine intelligente Abweichung von der Norm, bei weitem weniger vertrottelt sind als der oft unglaubwürdig überzogene Goofy heutiger Comicproduktionen, sondern an den deutlich geerdeteren Goofy der Gottfredson-Strips erinnert.

Die Publikationsgeschichte der einzelnen Episoden zeigt, welche Schwierigkeiten man in Deutschland lange mit dem Konzept der Großerzählung hatte. Während die erste Hälfte der Episoden chronologisch in diversen „Lustigen Taschenbüchern“ erschien, fand die zweite Hälfte breit verstreut und unchronologisch in einer Vielzahl anderer Publikationen Einsatz. Zwei Episoden wurden gleich ganz ausgelassen.

Damit ist der vorliegende Band eben auch die erste Möglichkeit, die zusammenhängende Erzählung der Geschichte der europäischen Besiedelung des amerikanischen Kontinents ebenso zusammenhängend zu lesen, mehr noch, lückenlos. Es ist eine lohnenswerte Lektüre, nicht nur wegen ihrer Größe.

Es war einmal in Amerika, Egmont Comic Collection, 496 S.; € 29,99

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