Es gibt viele gute Gründe, gerade jetzt über Alan Moore zu reden, über sein schwieriges Verhältnis zu Mainstream-Verlagen und über seinen Kampf für künstlerische Unabhängigkeit. Watchmen, der Film, ist gerade nach monatelanger Publicity an den Kinokassen versumpft. Watchmen, der Comic, wurde im letzten Jahr gut eine Million mal in der englischsprachigen Ausgabe allein verkauft. Moore lehnt sämtliche Einnahmen aus dem Flm und den Comicverkäufen ab, da er sich mit dem Verlag überworfen hat. Der dritte Teil der League of Extraordinary Gentlemen wurde für dieses Jahr angekündigt – es ist der erste, der nicht bei DC erscheint, sondern beim unabhängigen Kleinverlag Top Shelf.

Es gibt auch gute Gründe, diese Debatte in Comicform zu führen.  Moore ist der bekannteste lebende Comicautor, sein Beitrag zum Medium wie zur erzählerischen Tradition der gesamten westlichen Kultur ist wie die Besitztümer von Citizen Kane – kaum schätzbar. Und es gibt gute Gründe, weshalb ausgerechnet Rich Johnston diese Debatte in Form eines Comicheftes führt – der britische Comicklatsch-Blogger hat in den letzten Jahren die Streitigkeiten um Moore und dessen Werke ausdauernd beobachtet und kommentiert.

Und doch bekomme ich bei Watchmensch, dem Ergebnis von Johnstons Bemühungen, Bauchschmerzen.

Nicht weil das Heft faktisch falsch oder oberflächlich oder einfach schlecht wäre. All das ist es nicht. Die 24 ganz im Stil von Watchmen gehaltenen Seiten (Brain Scan Studios, $ 3,99) geben zwischen der Handlung einen hervorragenden Überblick über die Probleme, die Moore insbesondere mit DC Comics hatte: wie er mit obskuren Verträgen über den Tisch gezogen wurde, wie seine künstlerische Freiheit beschnitten und die Publikation seiner Titel unnötig verzögert wurde. Auf dieser Ebene ist Watchmensch ein hervorragendes Stück Metafiktion: eine fiktive Erzählung über die ganz realen Probleme Alan Moores mit einem Verlag, der de fakto die Rechte an einigen zentralen Werken Moores hält (u.a. auch V for Vendetta und Swamp Thing) und sich damit eine goldene Nase verdient. Johnstons Geschichte ist dabei keine bitterböse oder gar moralische Abrechnung damit, wie DC Comics den wichtigsten lebenden Comickreativen behandelt hat. Das Heft ist witzig, voller In-Jokes, flüssig lesbar.

Aber die Metafiktion reicht noch ein gutes Stück weiter. In Watchmensch geht es um sechs jüdische Anwälte, die nicht nur Moore selber mit Knebelverträgen fesseln, sondern auch andere Künstler wie die Superman-Erfinder Joe Siegel und Jerry Shuster. Parodistisch der Handlung von Watchmen folgend, recherchiert der Anwalt und Superheld Spotty Man (bzw. Rorschach) die Intrige, mit der seit Jahrzehnten Comickünstler um die Früchte ihrer Arbeit und das Eigentum an ihren Kreationen gebracht werden.

Das hat einen überaus realen Hintergrund. Bereits Siegel & Shuster verkauften alle Rechte an ihrem Superman für nur 130 Dollar an DC Comics. DC nahm damit Millionen ein. Insbesondere im Superhelden-Business hat es sich seitdem eingebürgert, dass sämtliche Ideen, die Künstler im Auftrag von Verlagen wie Marvel und DC schaffen, den Verlagen gehören. Damit bekommen die Künstler selbst im Falle des Erfolgs nichts vom Kuchen ab. Oder wenn, dann nur Brosamen. Sie sind auch austauschbar, weil es am Ende egal ist, wer Superman zeichnet, solange die Figur sich noch verkauft.

Es gibt aber noch eine andere Lesart. Superman, der nicht zu bremsende allererste Superheld, war eine Reaktion auf die Ohnmacht der beiden jüdischen Comickünstler Siegel & Shuster in New York angesichts der Hilflosigkeit auf den laufenden Holocaust in Europa. Ähnliches taten die auch jüdischen Joe Simon und Jack Kirby mit ihrer Kreation von Captain America – auf dem legendären Cover der Erstausgabe bekommt Hitler vom Helden ordentlich auf die Fresse. Auch die Schaffung der gebrochenen, zweifelnden Helden wie Spider-Man oder den X-Men durch den ebenfalls jüdischen Stan Lee bei Marvel Comics lässt sich als späte Reaktion auf den Holocaust deuten. Jüdische Künstler haben die US-Comics massiv geprägt mit Kreationen, die direkte oder indirekte Reaktion auf die Shoah waren.

Und da sind jetzt also diese sechs jüdischen Anwälte, die Watchmenschen, die wiederum u.a. jüdische Künstler und ein von jüdischen Künstlern entscheidend geprägtes Genre kreativknebeln. Es ist eine große Verschwörung, und der einzige, der diesen Plot auflöst, erweist sich am Ende als nicht-jüdisch.

Ist das witzig? Dave Gibbons, Zeichner der originalen Watchmen, war begeistert. „I Laughed out loud at Watchmensch“, ich habe laut gelacht bei Watchmensch, wird er zitiert.  Auch andere Rezensenten stehen dem Heft begeistert bis unkritisch gegenüber – neben den üblichen amerikanischen Review-Websites auch dieJewish Telegraphic Agency und die Website der BBC. Dabei ist dies nur eine Geschichte, wie Juden Juden um des Mammons Willen hereinlegen, eine Geschichte, die das Klischee von den jüdischen Anwälten als wahre Lenker der Geschenisse bemüht, eine Geschichte, in der der einzige Nicht-Jude, der sich heimlich in die jüdische Konspiration eingeschmuggelt hat, den Tag rettet.

Was würde Alan Moore wohl dazu sagen?

(Alle Bilder sind Eigentum der Künstler und stammen von deren Website zum Comic, watchmensch.com.)

One Response to “Watch, Mensch? Oder: „De Jod’n!“”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Die Comicübersetzer bei BILD says:

    […] Watchmensch […]