Was kann man über Daredevil sagen, was noch nicht gesagt wurde? Frank Miller hat dem Helden in den achtziger Jahren die Unschuld geraubt und Anfang der Neunziger den ganzen Rest. Brian Bendis hat den Tanz zehn Jahre später nochmal wiederholt. Der Vorteil der Superhelden-Comics, die leserbindende Seifigkeit des Erzählten, ist auch ihr Nachteil. Alles wiederholt sich.

Oder geht gnadenlos schief, sobald mal wer versucht, aus dem Muster auszubrechen. So wie Greg Rucka und Ed Brubaker in Cruel and Unusual (Marvel Comics, 128 S.; $ 14,99). Ein Comic wie wie ein Klassentreffen: Michael Lark als Zeichner ist auch noch dabei. Zusammen haben die drei bis vor wenigen Jahren einen der schönsten Semi-Klassiker des Jahrzehnts erzählt, das kaum beachtete Gotham Central. Danach gingen ihre Wege deutlich auseinander. Cruel and Unusual ist ihre erste direkte Zusammenarbeit seit längerem.

Die geschichte leidet ganz folgerichtig unter dem Problem, dass hier – wenn man schon mal wieder was zusammen macht – zu viel gewollt wird. Die Synopsis ist noch klassischer crime noir: Daredevil hat eklatante Zweifel an der Schuld eines verurteilten Verbrechers – obwohl dieser sich selbst schuldig bekannt hat. Ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt. In fünf Tagen soll der vorgebliche Kindsmörder hingerichtet werden.

Natürlich ist der für Schuldig erklärte tatsächlich unschuldig. So weit, so Genre. Um dessen Unschuld herum aber stapeln Brubaker und Rucka einen grob gehauenen Plot mit CIA, FBI, Heimatschutz und Mafia, die alle in den Fall verwickelt sind. Das ist nicht unspannend. Spätestens freilich wenn dann die zur Unterstützung angeheuerte Privatdetektivin Dakota North (drei Mal kurz gelacht) aufdeckt, dass ihr eigener Vater in der Sache drin steckt, kracht diese ganze Geschichte unter dem Gewicht der gewünschten Aussage, den moralischen Implikationen und der Überzusammenhängigkeit zusammen. 120 Comicseiten können so viel Bedeutungsschwangerschaft einfach nicht tragen.

Bei Steve Niles ging es eigentlich noch nie um Handlung. Seine Plots sind meist hauchdünn, betonen das Irrationale nicht aus Gründen der Atmosphäre, sondern weil sonst die Geschichte nicht funktionieren würde, und seine Skripte bleiben flach in der Charakterisierung der Figuren. So auch in Freaks of the Heartland (Cross Cult, 168 S.; € 19,80). Das die Schauergeschichte aus dem mittleren Westen der USA dennoch funktioniert, liegt allein an Greg Ruth. Der erzählt die Mär vom verwachsenen Jungen Will, der von seinen Eltern in der Scheune gefangen gehalten wird, in einem elegischen Breitwandstil und einer sinnverwirrenden Farbpalette aus Giftgrün und Goldgelb. Da rauschen die Weizenfelder, dass es eine Pracht ist, wenn Trevor und sein normal aufgewachsener Bruder Will eines Nachts beschließen, abzuhauen, und wenn sie dafür von den Dörflern gejagt werden. Mitunter seitenweise passiert nichts ausser Landschaft. Aber weil hinter dem Schönen stets der Schrecken lauert – schon auf dem Cover des Buches glühen die Fenster des elterlichen Hauses unheilverkündend – ist das genau gut so.

Gar nicht gut dagegen die höchst mittelmäßige Übersetzung. Ein Schlick aus Apostrophen und unglaubwürdig steif übersetzter Bauerntölpel-Slang stören den Lesefluß.

Nicht wirklich glücklich war ich bekanntlich mit den ersten zwei Bänden der bei Ehapa laufenden Gesamtausgabe der Minimenschen. Deren frühe Epsisoden (veröffentlicht in den ersten beiden Bänden eben da) waren mir viel zu betulich, bieder und in ihrem Weltbild noch ein gutes Stück hinter ihrer Entstehungszeit Ende der sechziger Jahre zurück.

Der dritte Band der vom Verlag „Maxiausgabe“ betitelten Minimenschen-Edition (Ehapa Comic Collection, 180 S.; € 29,95) nun markiert den Bruch zum Semiklassiker. Ein neuer Szenarist unterstützt Seron und gibt den längeren Geschichten deutlich mehr Drive. Im Mittelpunkt steht jetzt nicht mehr nur die kleine Welt der Minimenschen und deren naheliegende Bedrohung durch die „Großen“, also die normal gebliebenen Menschen. Sondern die gesamte Welt, die in verschiedenen Missionen von den Minis bereist wird. Damit brechen diese Geschichten, in denen es von den damals üblichen schurkischen Militärs und Schmugglern wimmelt, aus dem hinterwäldlerischen Muster der vorherigen Episoden aus. Gleich zu Beginn wird ordentlich Drama gegeben, wenn plötzlich miniaturisierte Nazis und Alliierte die Minimenschen attackieren.

Seron muss das Spaß gemacht haben. Seine Seitenlayouts werden ab da immer verspielter, sein an Franquin mehr als nur angelehnter Strich noch detailreicher und eleganter. Gelegentlich rutschen seine Bildideen sogar ins Surreale ab. Nur noch in den Kurzgeschichten, die die Albenepisoden umranden, zeigt sich etwas von der Betulichkeit der vorherigen Episoden.

Nichts desto Trotz bleiben die Minimenschen der Harmlosigkeit des reinen Unterhaltungscomics verbunden. Die Konflikte – wie z.B. mit jenen Ex-Nazis – werden nur äußerst oberflächlich gelöst. Im Vordergrund steht die Action. Anders als vergleichbaren Klassikern wie etwa Spirou fehlt es den Minimenschen damit an einer Mehrschichtigkeit, die das Ganze auch für Erwachsene interessant macht.

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