Derzeit gibt es im Osten wieder einmal ein paar faszinierende Comicpflanzen, die sachte aufblühen und über die bei anderer Gelegenheit dringend zu reden wäre (von wegen „vor der eigenen Haustür“ und so). Heute im Rahmen der täglichen Comicrezi allerdings erst mal zwei Dresdener mit ihren Produktionen. Mamei und Ivo Kircheis sind mit ihren Produktionen unter dem Kampfnamen Beatcomix unterwegs, der wöchentliche Comicstrip von Ivo Kircheis heisst Paralleluniversum.
Und die Erstveröffentlichung des unten stehenden Textes fand hier statt. Bei der Leipziger Comic Combo – wo sonst? 😉
Ivo Kircheis
Paralleluniversum&
Mamei & Ivo Kircheis
Dave GriggerDerzeit wächst um Dresden eine beachtenswerte kleine Comicszene heran. Nennenswert ist hier vor allem die Comicbrigade Dresden bzw. Beatcomix, wie sie sich inzwischen nennen, mit den beiden Aushängeschildern Ivo Kircheis und Marian Meinhardt-Schönfeld alias Mamei vorneweg. Integral in dieser kleinen Szene ist auch der Holzhof-Verlag, bisher vor allem bekannt für seine Ausgrabungen von (zum Teil zu Recht und zum Teil zu Unrecht) vergessener DDR-Comics. Bei ihm erscheinen die Beatcomix-Bücher.
Bereits zwei Bände der Reihe „Paralleluniversum“ liegen vor. Seit 2006 zeichnet Kircheis den gleichnamigen Comicstrip online. Da der Strip nur gefühlt täglich erscheint und inzwischen auch schon mal länger pausiert, decken die ersten zwei Bände zwei komplette Jahrgänge bzw. 351 Strips ab. In seinen pointierten Strips schildert Kircheis abwechselnd seinen Alltag mit Frau und Kind und parallel dazu seine surrealen Phantasien um fliegende Kühe, sprechende Würste und Zipfelmännlein. Beide Erzählwelten bilden längere Erzählstränge und vermischen sich auch regelmäßig, was zu verblüffend bizarren Erzählsituationen führt. Gleichzeitig hat Kircheis damit eine verblüffend wirksame Methode gefunden, sich jederzeit aus einer Erzählsituation herauszuwinden, wenn ein Plot zu verwickelt oder abstrus wird: er schiebt ihn einfach als Phantasie des fiktiven Paralleluniversums ab.
Fraglos ist Kircheis von den Zeichnern des amerikanischen Underground der Sixties beeinflußt, allen voran Robert Crumb. Das gibt seinen Zeichnungen gelegentlich ein etwas altmodisches Gepräge. Weil es in „Paralleluniversum“ auch offenbar Einflüße von so unterschiedlichen Künstlern wie Moebius oder Fil gibt, kann bei oberflächlicher Betrachtung der Eindruck entstehen, dass Kircheis ein wenig originärer Künstler ist. Allerdings beherrscht Kircheis seinen Stil mit sicherer Hand, und er schafft es, die Ansätze seiner Vorbilder vollkommen widerspruchsfrei zu vereinen. Darüber hinaus liegen seine Stärken in seiner äußerst menschlichen Erzählweise, die sowohl die Wortverdrehungen von Kircheis‘ Tochter Ella wie auch die Melancholie der fliegenden Kuh Ingeborg dem Leser zugänglich zu machen vermag.
Für das Album „Dave Grigger“ hat Kircheis nur das Reinzeichnen und das Lettering übernommen. Zeichnungen und Plot stammen von Marian Meinhardt-Schönfeld alias Mamei, der deutlich stärker von der modernen frankobelgischen Schule beeinflußt ist. „Dave Grigger“ schildert die letzten Wochen des gleichnamigen Totengräbers, der in einen Strudel bizarrer Ereignisse um einen alten Stein, eine Zigeunerin und Dämonenstimmen hinein gezogen wird. Die Geschichte ist rein logisch kaum faßbar: immer wieder unterbricht Mamei das Geschehen für (Alp-)Traumsequenzen und wilde Phantasmagorien, düstere Todesvorahnungen und realistische Schilderungen einer tödlichen Seuche, die den Alpdrücken in Punkto Nihilismus in nichts nachstehen.
Ähnlich wie das bei Reprodukt erschienene „Drei Schatten“ von Cyril Pedrosa ist „Dave Grigger“ rational nicht beizukommen. Der Schrecken der Erzählung entfaltet sich auf der intuitiven Ebene. Dazu passt auch, dass Mamei sich als einer von wenigen einheimischen Zeichnern der Bedeutung von Orten und Landschaften für die Erzählung eines Comics bewußt zu sein scheint. Seine vom Wind schiefstehenden Pappelwäldchen, die sturmgepeitschten Felder, der täglich um mehr Gruben anwachsende Friedhof – diese ganze rilkesche Romantik zeichnet Mamei in einem organischen, wildwuchernden und zugleich beherrschten Stil, der sicher nicht zufällig an den derzeitigen Meister dieser Erzählweise, Christophe Blain („Isaak, der Pirat“) erinnert.
„Paralleluniversum“ und „Dave Grigger“ sind zwei Comics, wie sie verschiedener nicht sein könnten. Daß zwei so verschieden arbeitende Künstler zusammen so gute Comics schaffen können, spricht für die Dresdener Szene und zeigt, dass im Osten auch abseits von Berlin hervorragende Comics entstehen können. (stefan pannor)
Jedes Album 48 S.; 10,00 €