Und damit ist hier auch erstmal Ruhe! Frohes Fest gefälligst! 😉 Lest ein paar gute Comics (ein Klick auf den Amazon-Link gleich rechts mag nicht schaden), und Bücher sowieso.

Pflichtschuldig angemerkt sei, dass auch dieser Text für die Leipziger Comic Combo geschrieben wurde, dort aber noch nicht online gegangen ist.

Derrien/ Fourquemin
Miss Endicott

Miss EndicottDie viktorianische Ära findet im Comic meist nur in romantisch verklärter Form statt. Große Ausnahme bildet hier das sowieso in jeder Hinsicht (Achtung! Wortspiel!) ausnehmende „From Hell“ von Alan Moore und Eddie Campbell mit seinem grimmigen Realismus. Natürlich nicht auf diesem Level, aber immerhin konnte Xavier Fourquemins Fantasy-Story „Die Legende vom Changeling“ im vergangenen Jahr damit punkten, bei der Darstellung des viktorianischen London zumindest einen Hauch Realismus in die Geschichte über Gnome und weißbärtige Magier eingeflossen zu lassen haben.

Gleicher Zeichner, gleiche Ära, gleicher Ort: „Miss Endicott“. die Geschichte einer sogenannten Schlichterin, die den Job von ihrer verstorbenen Mutter übernimmt und vor allem Nachts an den Behörden vorbei inkognito für Ruhe in London sorgen soll. Weil das keine Frau ernährt, übernimmt sie tagsüber eine Tätigkeit als Gouvernante. Eine Superhelden-Geschichte also (ähnlich dem jüngst erschienenen „Tanatos“) in franko-belgischem Gewand, mit Geheimidentität und nächtlichen Rettungsmissionen, mit einem Superschurken, einer irren Maschine zur Welteroberung oder -vernichtung und Totgeglaubten, die nicht tot sind.

Grafisch ist das dagegen wie gehabt sehr französisch. Sichtlich hat sich Fourquemin für die zwei umfangreichen Alben weiterentwickelt. Die klaren Linien und graden Häuser des „Changeling“ sind den verschrobenen Gebäuden und verzerrten Perspektiven gewichen, wie sie vor allem sein Kollege Christophe Blain benutzt – von dem hat Fourquemin auch die Nasen seiner Figuren.

Den Realismus des „Changeling“ erreicht Fourquemin damit nicht, will er vielleicht auch gar nicht. Denn die grade mal zwei Alben lange Erzählung ist vollgestopft mit mindestens einem halben Nebenplots und einem ganzen Dutzend handlungsrelevanter Figuren. Daran scheitert die Miniserie auch: was sich zu Beginn noch angenehme dicht und temporeich liest, wirkt mit zunehmendem Handlungsfortschritt (und immer weiteren hochgetürmten Handlungselementen) vor allem in der zweiten Hälfte überfrachtet. Spätestens zum Finale kracht dieses wahnwitzige Konstrukt (rebellische Zwerge, ein ausgebüchster Junge und ein verliebter Penner kommen auch noch vor) ähnlich fatal zusammen wie London selbst unter den Plänen de gierigen Oberschurken. Der ist … aber nein, das ist dann noch ein Plotelement zu viel. Weniger wäre mehr gewesen, und die Bilder sind zwar schön, aber der Realismus wird schmerzlich vermisst. (stefan pannor)

Piredda-Verlag, 2 Alben á 80 S.; jeweils € 19,50

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