Es ist eine irritierende Erfahrung, Isabel Kreitz‘ Comicadaption von „Pünktchen und Anton“ zu lesen. Denn mit Feinsinn und Verve kratzt Isabel Kreitz die ganze neuzeitliche Patina von der Vorlage ab. Darunter kommt eine Geschichte zum Vorschein, die trotz des märchenhaften Sujets ohne jede süßliche Romantik auskommt.

von Stefan Pannor

Mit den Jahrzehnten hat sich eine Patina aus Alter und nostalgischer Romantik über die meisten Bücher von Erich Kästner gelegt, über die Kinderbücher vor allem. Eine Vielzahl verharmlosender Verfilmungen haben den Vorgang noch beschleunigt.

Dabei waren Kästners Texte für Kinder (und die kongenialen Illustrationen von Walter Trier) zum Zeitpunkt ihres ursprünglichen Erscheinens bahnbrechend und hochmodern. Als erster deutscher Kinderbuchautor hat Kästner Geschichten aus dem Lebensalltag seiner Leser erzählt, und das heisst in diesem Fall vor allem aus den wilden Zwanzigerjahren und den letzten Tagen der Weimarer Republik.

Mit Feinsinn und Verve kratzt Isabel Kreitz die ganze neuzeitliche Patina von dieser Vorlage ab. Darunter kommt eine Geschichte zum Vorschein, die trotz des märchenhaften Sujets von der Freundschaft zwischen dem reichen Mädchen und dem armen Knaben ohne jede süßliche Romantik auskommt.

Bereits mit der Uwe-Timm-Adaption „Die Entdeckung der Currywurst“ und der Agentengeschichte „Die Sache mit Sorge“ (für die sie 2009 den Sondermann erhielt) hat Isabel Kreitz bewiesen, dass sie sowohl Geschichte wie auch Geschichten hervorragend für den Comic adaptieren kann. Seit Jahren bemüht sie sich um die Rechte für eine Comicadaption von Thomas Manns „Buddenbrooks“, leider vergeblich.

Bei ihrer Nacherzählung von „Pünktchen und Anton“ orientiert sich Isabel Kreitz an den Originalillustrationen von Walter Trier. Dessen sanfter Kreidestrich und die Kunst der Reduktion der Bilder auf das Wichtigste kommen dem semidokumentarischen Ansatz entgegen, mit dem Kreitz das Alltagslebens in Berlin vor dem Dritten Reich rekonstruiert. Wie selbstverständlich (aber natürlich ist es nicht selbstverständlich, sondern viel harte Arbeit) sind Mode, Werbung, Architektur und viele weitere Details der damaligen Zeit zu sehen.

Ihren Erzählgestus freilich hat sie eher von dem amerikanischen Meistern des Comics, von Will Eisner oder den Horrorzeichnern des EC-Verlages. Entsprechend direkt ist ihr Ansatz. Schnörkellos, gelegentlich von düsterer Romantik, dann wieder von Ironie getragen schildert sie das Berliner Unterklassen- und Bürgerleben der wilden Zwanziger. Mit der kuscheligen Romantik des nostalgischen Kinderbuches hat das kaum noch zu tun. „Pünktchen und Anton“, der neue Comic, ist das alte Kinderbuch, wie es lange nicht mehr wahrgenommen wurde.

Cecilie-Dressler-Verlag, 100 S.; €16,80

Gekürzte Fassung des Artikels für SPIEGEL-Online. Erstellt in dieser Version im Herbst letzten Jahres für die Comic Combo Leipzig.

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