Zweiter Teil meines Abrisses der Publikationen zum diesjährigen Gratis-Comic-Tag – Teil 1 findet sich hier!
Diesmal mit: Monsieur Jean, Der Tod und das Mädchen, Canardo, Zarla, Green Manor.
Dupuy & Berberian
Monsieur Jean: Geschichten aus Paris (Reprodukt, 32 Seiten)
Der Unterschied zwischen Alltagsfiktion und autobiographischen Erzählungen liegt im Grunde nur im Label: es ist jederzeit möglich, Sebsterlebtes als Fiktion zu präsentieren und vice versa.
Die Geschichten um Monsieur Jean, den gelegentlich glücklosen, aber eigentlich sachte aufsteigenden Pariser Schriftsteller, lagen von Anfang an im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen; immer eine Spur zu genau, um reine Fiktion zu sein, und doch oft etwas zu burlesk, um ganz wahr zu wirken. Das vorliegende Heft, ursprünglich als Beilage zur französischen Erstauflage des vierten „Monsieur Jean“-Albums erschienen, füttert die Spannung noch an: mit verstreuten Kurzgeschichten und Onepagern um Monsieur Jean und gleichzeitig mit autobiographischen Geschichtchen seiner Erzähler Philip Dupuy und Charles Berbérian. Wie wahr? Wie wahr!
Mehr zu Monsieur Jean:
Nina Ruzicka
Der Tod und das Mädchen (Die Biblyothek, 48 Seiten)
Der Tod ist häufige Figur im Comic, bekanntestes Beispiele wohl Neil Gaimans süßer Goth-Tod aus „Sandman“. Nina Ruzickas Tod ist ein klassischer Sensenmann, und zwischen ihm und der Anhalterin, die in mitnimmt, entwickelt sich eine absurde Haßfreundschaft, die ihn zunehmend abstrusere Situationen ausartet.
„Der Tod und das Mädchen“ zählt zu den frühesten Beispielen deutschsprachiger Webcomics – die Strips erschienen bis 2005 auf einem extra für diese eingerichteten Portal des ORF, seither und seitdem mit dem Ende dieser Institution auf Ruzickas eigener Seite und als Druckversion beim Leipziger Verlag Die Biblyothek. Bewundernswert sind Ruzickas Talent für Slapstick und Timing, die diesem gefühlvollen Gagstrip – Verzeihung für den Kalauer – Leben einhauchen. Unbedingt beachten!
Benoit Sokal
Canardo – Weisse Vögel sterben leise (Schreiber & Leser, 48 Seiten)
Unzweifelhaft ist „Canardo“ vom französischen Autorenzeichner Benoit Sokal ein Produkt der Renaissance des französischen Hard-boiled-Krimi, des sogenannten Neo-Polar, der aus der gesellschaftlichen Skepsis der 68er entstand, ohne deren Optimismus zu übernehmen, und sich verstärkt politischen Themen zuwandte. Dass das auch mit Tieren geht, hatte Steve Gerber drüben bei Marvel in den Siebzigern mit seiner atemberaubenden Politsatire „Howard the Duck“ vorgemacht. Darum ist Canardo eine Ente bzw. darum sind alle Figuren in diesem Comic vermenschlichte Tiere.
Politik als Verbrechen betrachtet: im vorliegenden Heft wird Canardo als Privatdetektiv ausgeschickt, einen Gelehrten zu suchen, der in einer mittelamerikanischen Bananendiktatur Unterschlupf gefunden hat, der aber nicht nach Hause will. Gemeinsam brechen die beiden zu einer Odyssee durch das von Krisen und Revolten geschüttelte Land auf. Das ist ohne Umschweife zynisch und direkt erzählt (manchmal eine Spur zu direkt), sehr bitter, und wie allein schon die gedämpften Farben von Anfang an andeuten komplett ausweglos für alle Akteure.
Mehr zu Benoit Sokal:
Janssens/ Guilhelm
Zarla – Die kleine Drachenjägerin (Piredda, 48 Seiten)
Kleine Mädchen im Comic gehen immer – richtig? Falsch! Sonst wären nicht diverse der charmantesten frankobelgischen Comicserien des letzten Jahrzehnts („Violetta“, „Lou“) eher mäßige Erfolge gewesen. Es ist dem Piredda-Verlag hoch anzurechnen, dass er sich trotzdem in diesem Sujet versucht. Zumal die Geschichte nur oberflächlich niedlich ist: die Mär von der sich selbst für unbesiegbar haltenden Zarla in ihrer Fantasywelt ist voller kleiner Gemeinheiten, aber auch tiefergehender Bosheit, weil sich Autoren und Künstler jeder einfachen Zuordnung von Gut und Böse enthalten. Lustig, und mit dem Potential, deutlich mehr als nur nett zu werden.
Als Back-up gibt es vier Kurzgeschichten der akzeptablen Sherlock-Holmes-Parodie „Baker Street“, die deutlich besser wäre, wenn nicht jede der hier abgedruckten Geschichten ein ähnliches Muster verfolgen würde: Holmes, Watson, ja überhaupt jede Figur einfach als unmöglichen Vollidioten dastehen zu lassen. Das ist lustig, aber auf Dauer wirklich nur nett.
Bodart & Vehlmann
Green Manor – Mörder und Gentlemen (Zack, 48 Seiten)
Die Antithese zur Holmes-Parodie ist „Green Manor“, insofern als diese Serie sich zwar ebenfalls um Verbrechen dreht, aber ihr Sujet nicht aus dem Fundus der viktorianischen Detektivgeschichte übernimmt, sondern von den klassischen „Club-Erzählungen“, also jenen Schnurren, die sich die Herren der viktorianischen Oberschicht angeblich in ihren Clubs zu erzählen pflegten.
Dabei sind die Mitglieder des titelgebenden „Green Manor“-Clubs alles andere als nette Herren. In den jeweils sieben Seiten langen Episoden wird ordentlich gemeuchelt – hinten rum, niemals grade heraus. Fabien Vehlmann, derzeit einer der produktivsten und im Bereich der Unterhaltungslektüre auch spannendsten Szenaristen, macht sich einen Spaß daraus, möglichst verwobene, komplexe und natürlich moralisch komplett fragwürdige Mordkomplexe zu ersinnen. In Folge sind die Miniaturdramen, grade am Stück genossen, ein höllischer, finsterer Spaß.
Mehr zu Fabien Vehlmann:
Mai 11th, 2011 at 08:10
OK. „Green Manor“. Damit habe ich meine drei Titel. 😉
Mai 12th, 2011 at 11:31
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Mai 13th, 2011 at 12:43
[…] über die Publikationen zum diesjährigen Gratis-Comic-Tag. Teil 1 findet sich hier, Teil 2 dort und Teil 3 dann […]
Mai 5th, 2013 at 13:58
[…] Die Fiesen […]
Mai 9th, 2013 at 15:08
[…] Die Fiesen […]
Mai 6th, 2014 at 18:53
[…] Die Fiesen […]
Juli 30th, 2016 at 19:01
[…] sich entwickelt (hat) – spätestens, wenn Jean-Louis Janssens als Autor übernimmt, dessen “Zarla” ein sarkastischer, viel zu wenig beachteter Abenteuer-Funny […]