Remakes von Comics sind selten; noch seltener ist, dass diese etwas taugen. Schon deshalb ist Naoki Urasawas Manga „Pluto“ etwas besonderes. Aber selbst ohne den Exotenbonus wäre der Manga eine der herausragenden Comicveröffentlichungen des Jahres.

1964 erschien Osamu Tezukas „Der größte Roboter auf Erden“, die Vorlage für „Pluto“, erstmals in Japan. 170 Seiten lang, war die Episode Bestandteil von Tezukas „Astro Boy“-Serie, dem seinerzeit mit Abstand erfolgreichsten und beliebtesten Comic Japans. Die Story war naiv: seitenweise prügelten Roboter aufeinander ein, um herauszufinden, wer der Stärkste sei. Die Kids liebten das, die Geschichte wird heute noch nachgedruckt.

Urasawas Remake ist rund zehn mal so lang. Und auch sonst ist alles anders. Keine Prügeleien, überhaupt wenig Action. Die Zeichnungen bestechend naturalistisch und ruhig. Grade mal ein wenig vom Plot und ein paar Figuren übernimmt Urasawa, und verschiebt den Fokus weg von Astro Boy, dem Robotjungen, hin zum Polizeikommissar Gesicht (der auch im japanischen Original so heißt) – ein Roboter, der den Mord, wenn man es denn so nennen kann, an diversen anderen Robotern aufklären soll.

Nicht nur der Name des Polizisten deutet an, dass Urasawa hier weniger von Blechkumpels erzählt. Sondern von Identität und davon, welchen Stellenwert sie in einer komplexen Gesellschaft hat. Einer der ermordeten Roboter, Herakles, bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Schaukämpfe. Er schlüpft dazu in den Kokon eines noch viel größeren Roboters. Seine Frau sieht aus wie ein Mensch, die Kinder sind adoptiert.

Masken hinter Masken, verstellte und nicht wahrgenommene Identitäten sind durchgehendes Motiv der Erzählung. „Für Menschen“ steht links über dem Eingang zum Polizeipräsidium, „Für Nicht-Menschen“ rechts. Links will der Wachmann davor die beiden Kids, Junge und Mädchen, zwei Zeugen, durchwinken. Aber nein, sagt der Knabe, rechts ist schon richtig. Sie seien immerhin Roboter.

Das erinnert sicher nicht zufällig an „Blade Runner“, Ridley Scotts großartigen filmischen Beitrag zur Diskussion, wann der Mensch ein Mensch ist. Beide Thriller in futuristischer Umgebung, geht der Comic allerdings deutlich weiter in seinem soziopolitischen Großentwurf des erzählerischen Hintergrunds.

Robotveteranen aus dem letzten großen Krieg und Ku-Klux-Klan-ähnliche Organsisationen, die Roboter als minderwertig bekämpfen und sich ausgerechnet in Deutschland breitmachen, bestimmen in „Pluto“ die Szenerie einer hochgradig zerrissenen Gesellschaft, die nicht weiß, wohin mit ihren eigenen Geschöpfen – die oft selbst nicht wissen, wohin mit sich.

In der japanischen Comicszene ist Urasawa ein enfant terrible. Der Zeichner, der nebenher noch Rockalben aufnimmt, zertrümmerte bereits in seiner Vorgänger-Serie „20th Century Boys“ die eskapistischen Kinderträume des Manga, indem er der Frage nachging, wie eine Welt aussähe, in der diese wahr wären. Das Ergebnis war bitter, düster – und die Verfilmung dieser Geschichte in Japan erfolgreicher als der „Herr der Ringe“.

Mit „Pluto“ geht Urasawa bis an die Wurzeln seines eigenen Berufsstandes. Immerhin hat Tezuka, von dem die Vorlage stammt, den modernen japanischen Comic überhaupt erst erfunden und bis zu seinem Tod 1988 geprägt. Urasawa zeigt, wie erwachsen das Medium in Japan seitdem geworden ist, indem er in seinem Remake von all den Dingen erzählt, von denen Tezuka damals noch nicht reden konnte.

Naoki Urasawa: Pluto
Carlsen Comics, 8 Bde. á 208 S.; € 12,90

Manuskripfassung; eine leicht geänderte und gekürzte Fassung erschien in der Frankfurter Rundschau.

5 Responses to “Die Maske in der Maske. „Pluto“ von Naoki Urasawa”

  1. Oliver L. says:

    Sollte den ersten Band endlich mal lesen…

  2. Marco says:

    „Einer der ermordeten Roboter, Herakles, bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Schaukämpfe. „…das war Brando, nicht Herakles…

  3. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (177) ‘Valerian & Veronique’ says:

    […] Verfasst für die Comic Combo Leipzig. Der Vollständigkeit halber: bei der Rezension #176 handelte es sich um eine nur geringfügig veränderte Fassung dieses Textes für die Frankfurter Rundschau. […]

  4. Stefan Pannor » Blog Archive » Aktuelle Comicrezension (235) – Horrormanga x 2: ‘Uzumaki’ & ‘Sprite’ says:

    […] Die Maske in der Maske. Naoki Urasawa […]

  5. Stefan Pannor » Blog Archive » Oswald, das tödliche Karnickel says:

    […] Naoki Urasawas PLUTO […]