Alexandre Dumas‘ „Drei Musketiere“ sind wohl der unwahrscheinlichste Kandidat für eine Adaption in das, was momentan Graphic Novel genannt wird. Graphic Novels sind, nach derzeit gängigem Gebrauch realistisch, ernst und gegenwartsnah. Nichts davon trifft auf diesen Comic zu.

Obwohl: der reinen Handlung nach adaptiert Nicolas Juncker tatsächlich ohne viel Sperenzchen Dumas‘ umfangreichen Roman. Der erschien erstmals als Fortsetzungsroman in einer Tageszeitung, war also für die kleine Unterhaltung zwischendurch gedacht.

Dumas, der seine Romane nahezu industriell fertigen ließ (er beschäftigte diverse Assistenten, die seine Vorlagen zu den heute bekannten Texten ausarbeiteten), hielt sich wenig damit auf, ob er da Literatur schuf, auch die Frage nach dem Realismus stellte sich in seinen zumeist rein eskapistischen Geschichten nicht.

Die Geschichte vom Aufstieg des Bauernburschen D’Artagnan zum Musketier und später Leutnant ist zwar durch Begriffe und Figuren aus der französischen Geschichte geerdet, in ihrem Ablauf aber auf Spannung statt auf Realismus getrimmt, voller unwahrscheinlicher Volten und Verwicklungen.

Was von all dem der Oberfläche nach beibehalten wird, bricht Juncker allerdings in den Bildern und Dialogen. Da bleibt wenig von dem von Dumas aufgebauten Bild der wackeren, sorglos-naiven Kämpen, die sich für Frauen und Vaterland in alle möglichen Kämpfe stürzen. Die Affären, bei Dumas nur angedeutet, werden explizit gezeichnet. (Der Comic ist also nicht ganz jugendfrei.)

Abseits von Sex ist es ein armseliges Leben: die Helden hausen in fast leeren Räumen, die Kleidung lumpig und großmäulig nur das Auftreten. Überhaupt sind sie Karikaturen von Helden, mit winzigen hohlen Augen, übertriebener Mimik und stets etwas überfordertem Blick.

D’Artagnan kommentiert als Ich-Erzähler die Ereignisse nicht nur flapsig-sorglos, sondern geradezu dumm, überheblich, von Standesdünkel getrieben. Schlimmer noch: er kommt damit durch, niemand stört sich an dem hohlen Aufschneider.

Der Comic ist damit eine Dekonstruktion des Mythos von den Musketieren, bei der schließlich von Helden wenig zu sehen ist. Junckers Figuren kämpfen nicht für Gerechtigkeit, sie kämpfen für sich selbst und dafür, irgendwie aufzusteigen.

Dabei ist er, trotz seines bitterbösen Tons, der konträr zu Dumas‘ Vorlage läuft, überaus unterhaltsam, allerdings eher im Sinne einer schwarzen Komödie. Und nicht nur dem Umfang nach (immerhin 260 Seiten) entspricht „Die drei Musketiere“ damit den Vorstellungen von einer Graphic Novel, sondern eben durch diese erwachsene, gleichzeitig angenehm respektlose Dekonstruktion eines Mythos.

Carlsen Comics, 260 S.; € 24,90

Entstanden für die Comic Combo Leipzig.

2 Responses to “Aktuelle Comicrezension (178): ‚Die drei Musketiere‘”

  1. Oliver L. says:

    Hehe. Sehr schöner Artikel. Thumbs up, wie der Lateiner in neudeutscher Prägung sagen würde. 😉

  2. Romane in Bildern | Blog der Stadtbibliothek Salzgitter says:

    […] Helden, mit winzigen hohlen Augen, übertriebener Mimik und stets etwas überfordertem Blick.“ (Hier finden Sie die vollständige […]