Nicht nur ‚Perry Rhodan‘ startet neu. Auch die ‚Peanuts‘ bekommen eine Generalüberholung: Snoopy, Charlie Brown, Linus und die anderen in neuem Gewand. Dabei dürfte das nicht sein, denn ‚Peanuts‘-Erfinder Charles Schulz hat die Figuren mit ins Grab genommen. Wie geht es also doch?

Eigentlich war der Fall klar. Als Charles Schulz im Februar 2000 starb, starben seine Comicfiguren mit ihm: Charlie Brown, Snoopy, Peppermint Patty, Woodstock – die „Peanuts“. In einem offenen Brief, der nur Stunden nach seinem Tod erschien, verabschiedete Schulz sich und sie von seinen Lesern.

Fünfzig Jahre lang hatte Schulz den Strip im Alleingang gestaltet, und dabei aus einem zu Beginn äußerst unauffälligen Comic über ein paar Vorstadt-Kids mit sehr großen Köpfen eines der größten Merchandising-Imperien der westlichen Welt geschaffen.

Genau darin dürfte der Grund liegen, weshalb es nun doch mindestens einen neuen „Peanuts“-Comic gibt. „Happiness is a warm Blanket, Charlie Brown!“ heisst das Buch. Es ist 100 Seiten stark, und obwohl auf dem Cover Charles Schulz als Autor ausgewiesen ist, stammt kein Federstrich darin von ihm.

Gezeichnet hat es der junge Cartoonist Bob Scott. Erschienen ist es beim nordamerikanischen Verlag Kaboom!, der allen Grund hat, nach neuen Einnahmequellen zu suchen. Bis vor kurzem veröffentlichte er die Disney-Comics in der Lizenz für den nordamerikanischen Markt. Seit ein Großteil davon zu Beginn des Jahres zu Marvel Comics herübergezogen wurde (die seit anderthalb Jahren zum Disney-Imperium gehören), klafft ein Umsatzloch, das gestopft werden muss.

Wie aber umgeht man das Diktum, keine neuen „Peanuts“-Comics zu produzieren und gleichzeitig doch? Die Lösung ist so irrwitzig wie genial. Zur Vorlage genommen wurde ein jüngst in den Staaten produziertes TV-Special, das wiederum direkt auf den Comics von Charles Schulz beruhte.

Die Umsetzung für das Fernsehen war so werkgetreu, das nahezu der komplette Dialog in dem Zeichentrickfilm aus den originalen Comics stammt. (Als Co-Autor ist immerhin der Schulz-Sohn Craig angegeben. Sofern man bei dieser Plünderung der Erbmasse überhaupt von einer Autorenschaft sprechen mag.) Und eben diese Dialoge finden sich nun auch in dem neuen Comic. So kommt es, dass Schulz als Autor auf dem Cover eines brandneuen Buches steht – 12 Jahre nach seinem Tod.

Wenn es denn wenigstens gut gemacht wäre! Leider ist die Plünderung der Schulzschen Erbmasse nicht nur äußerst unoriginell, sondern auch schlicht schlecht. Schulz war ein Meister der längeren Geschichten. Aufgehängt an seinen melancholischen Pointen konnte er in den täglichen Strips oft über Wochen zu einem Thema erzählen.

Comic und TV-Special wirken dagegen abgehackt, folgen eher notdürftig einem roten Faden, der oft über Seiten ganz verschwindet: Linus, der von seiner Schmusedecke abhängig ist, erwartet den Besuch seiner Großmutter. Die will ihm das lebensnotwendige Textil wegnehmen.

Statt nun dieses Thema auszuspinnen – Vorlagen in Schulz‘ Strip gibt es genug – springt die Handlung immer wieder weg davon. Der rote Faden zerfasert, möglicherweise in dem Verlangen, alle anderen Figuren aus der Vorlage auch einmal zu Wort kommen zu lassen, angesichts einer Vielzahl vollkommen zusammenhanglos eingestreuter Episödchen über Charlie Brown, den klavierspielenden Schröder, die griesgrämige Lucy.

Grafisch findet Bob Scott dabei zwar eine verblüffende Nähe zum Schulzschen Strich, zerfleddert die Pointen und die ganze Erzählung aber in einem unnötig exploitativen Seitenaufbau.

Macht das Beispiel Schule? Schon mehren sich die Gerüchte neuer „Tim & Struppi“-Comics. Deren ursprünglicher Schöpfer Hergé hatte neue Abenteuer der Figuren nach seinem Tod testamentarisch verboten. Seither zehren seine Erben von einer beinahe hundert Jahre alten Idee ohne eine Chance auf Nachschub.

Im Herbst aber steht ein Kinofilm an, Regie Steven Spielberg. Ein zu erwartender Blockbuster, der die Nachfrage nach den Abenteuern der Figuren drastisch steigern dürfte. Schon jetzt ist eine Vielzahl Begleitprodukte angekündigt: der Roman zum Film für Kids, der Roman zum Film für ältere Leser, der Bildband zum Film, der originale Comic als Filmsonderausgabe und vielerlei mehr.

Liegt es fern, anzunehmen, dass sich auch Hergés belgische Erben Gedanken machen, das testamentarische Diktum nach amerikanischem Muster zu umgehen? Siegen auch hier Penunsen über Pietät?

Happiness is a warm Blanket, Charlie Brown!
Kaboom, 100 S. HC, $ 19,99 US

Manuskriptfassung meines Artikels für Die Welt.

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