Der Comicsalon Erlangen rückt näher – und mit ihm die Verleihung des Max-&-Moritz-Preises. Zu dem gibt es aber einiges Kritisches anzumerken. Spätestens seit Panini nicht mehr teilnimmt. Was ist von einem Preis zu erwarten, den sowieso immer nur dieselben Verlage bekommen?

Es ist ein furchtbar gestelltes Bild: die Mitglieder der diesjährigen Max-&-Moritz-Jury lesen Comics und deuten fröhlich auf irgendwelche Bilddetails.

Aber nicht die offenbare Künstlichkeit des Fotos hat mich zum Nachdenken gebracht. Sondern einer der Comics auf dem Bild. Es ist die deutschsprachige Ausgabe der Wednesday Comics, eines riesengroßen Tributbandes von DC Comics an die klassischen Zeitungsstrips. Auf Deutsch ist er bei Panini erschienen.

Wie kommt dieser Band dahin? Panini nimmt seit diesem Jahr nicht mehr am Max-&-Moritz-Preis teil. Klarer gesagt: sie reichen keine Bücher mehr ein.

Um eine Nominierung für den Max-&-Moritz-Preis zu kriegen, muss man als Verlag die Titel einreichen, die man für nominierungswürdig hält. Die Jury sucht dann daraus die in ihren Augen geeignetsten Bände heraus. Verlangt wird die Einsendung von sieben Exemplaren jedes Bandes, der der Jury vorgelegt werden soll.

Wer den Comicmarkt kennt, weiss: das ist kein preiswerter Spaß. Moderne Comics liegen oft im Bereich von 15, 20 oder 30 Euro. Reicht man vier Titel mit sieben Exemplaren ein, liegt man schnell bei einem Warenwert von über fünfhundert Euro.

Zusätzlich kann die Jury Wünsche äußern, die dann an die Verlage herangetragen werden. Das alles ohne die Garantie, das daraus wirklich eine Nominierung wird. Oder ein Preis.

Aber Panini nimmt ja nicht mehr an der Einsendung teil. Wie also kommt der Band – Ladenpreis: 60 Euro – auf den Tisch? Naheliegende Antwort: sie wurden gekauft. Auch das ist nicht ungewöhnlich. Bände, die vom Verlag nicht geliefert werden können, werden ganz regulär für die Jury eingekauft.

Warum aber nimmt Panini nicht mehr teil? Weil es sich für sie nicht lohnt. Die erste und bis dato einzige Nominierung eines Panini-Titels war 1998, damals noch unter dem Verlag Dino Comics (der dann von Panini übernommen wurde) für die „Batman Adventures“-Heftserie.

Seitdem: nichts. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass mindestens im Zeitraum seit 1998 drei Verlage die Preisvergabe dominieren: Carlsen, avant und die Edition Moderne. In den diversen Kategorien, die man eindeutig Verlagen zuordnen kann (also z.B. Bester Comic, Beste Eigenproduktion u.ä.) gingen 11 von 17 Preisen der letzten vier Verleihungen an diese Verlage. Die Chancen, als irgendein anderer Verlag zu gewinnen, sind also verschwindend gering.

Und die Preisverleihung funktioniert mitunter nach eigenen Regeln. Als Isabel Kreitz 2008 den Preis für den besten Kindercomic (für ihre Kästner-Comic-Adaption „Der 35. Mai“) zugesprochen bekam, obwohl sie im selben Zeitraum mit „Die Sache mit Sorge“ eine hochrenommierte Graphic Novel für Erwachsene bei Carlsen publiziert hatte, wirkte das wie abgeschoben: Damit der ebenfalls bei Carlsen publizierende Reinhard Kleist den Preis für den besten deutschsprachigen Comic erhalten konnte („I see a darkness“).

Letzteren Preis bekam 2010 Jens Harder für „Alpha: Directions“. Ein mit sehr heisser Nadel gestrickter Preis. Ausser der Jury hatte den Band kaum einer vorher gesehen. Er war gerade erst zum Salon erschienen. (Später entwickelte sich ein recht unappetitlicher Plagiatsstreit um den Band. Ich frage mich: hätte die Jury den Preis genauso verliehen, wenn sie mit der Nominierung zwei Jahre gewartet hätte und nach Bekanntwerden der Debatte?)

Derlei mag Zufall sein. Trotzdem kann man nicht umhin festzustellen, dass die Preischancen beim Max-&-Moritz-Preis drastisch sinken, wenn der Verlag nicht Carlsen oder Edition Moderne ist. Und dass die Jury mitunter Himmel & Hölle bewegt, um einem der genannten Verlage einen Preis zu geben.

Woran liegt das? Natürlich machen genannte Verlage gute und sehr gute Bücher. Aber das machen andere, weniger mit Preisen überhäufte Verlage auch.

Ich komme nicht umhin, das Preis-Clustering auf die relative Statik der Jury zurückzuführen. Ein Blick ins Ausland hilft. Beim amerikanischen Eisner-Award etwa lässt sich über die Jahre ein verblüffender Wechsel bei den Nominierungen fetstellen. Mal gibt es mehr Nominierungen aus dem Independent-Bereich, mal dominiert der Mainstream. Das liegt nicht an der Wechselhaftigkeit des dortigen Marktes. Sondern an der Rotation der Jury, die jedes Jahr neu zusammengestellt wird, mit neuen Eigenheiten und Vorlieben. Infolgedessen stellen die Nominierungen jedes Jahr eine Überraschung dar.

Und auch in Frankreich, beim Großen Preis von Angouleme, rotieren mindestens Teile der Jury. Juryvorsitzender der paritätisch aus zwei Journalisten, zwei Zeichnern und zwei Bibliothekaren zusammengesetzten Jury ist jeweils der Vorjahresgewinner.

In Deutschland dagegen ist die Jury seit Jahren nahezu stabil. Während der Markt allein in den letzten fünfzehn Jahren zwei gewaltige Wellen über sich ergehen lassen konnte (die Superhelden- und die Mangawelle) und grundlegende Umwälzungen erfahren hat, mittendrin in einem Wirrnis aus Graphic Novels und E-Comics und Comicblogs, deren langfristige Bedeutung sich nicht absehen lässt, sitzt die Jury alle zwei Jahre nahezu identisch am Tisch.

Vielleicht sind die Entscheidungen der Jury daher so vorhersehbar. Mehr aber noch: was sagen diese Entscheidungen wirklich über den aktuellen Comicmarkt in Deutschland aus? Oder, noch eins weiter: was wollen sie uns sagen? Mehr Carlsen, avant, Edition Moderne?

Es ist also kein Wunder, dass Panini nicht mehr am Preis teilnimmt. Allerdings ist das wohl nur die Spitze des Eisberges. Wie viele kleine und mittelständische Verlage schicken nichts mehr ein, weil sie ähnlich bittere Erfahrungen machen mussten? Grade für Kleinverlage ist es eine ordentliche Investition, mal eben Waren im drei- oder vierstelligen Wert zu verschenken. Wie viele weichen, wenn sie können, auf den für sie deutlich erfolgversprechenderen ICOM-Preis aus?

Mehr noch: wieso eigentlich einreichen, wenn Titel auch eingekauft werden können? Wer als Klein- oder Kleinstverlag mit Auflagen von 800 oder 1.500 Stück rechnet, hat so schon Mühe, auf eine schwarze Null beim Abverkauf zu kommen. Wie einladend ist da die Vorstellung, dass das Kulturamt nicht mehr den Packen aus sieben Freiexemplaren fordert, sondern – und sei es zum Verlagsrabatt – kauft?

Natürlich ist klar, dass am Ende nur einer gewinnen kann. Und dass nur so und so viele nominiert werden können. Und dass Gewinner und Nominierte der Überzeugung einer unabhängigen Jury entspringen sollten, nicht irgendeiner Art von Verlagsproporz.

Aber die Antwort auf dieses Dilemma kann nicht darin liegen, weiter die üblichen Verdächtigen zu nominieren. Nicht darin, Verlage zu vergraulen, weil sie sich (ganz realistisch) keine Siegchancen ausrechnen.

Es braucht mehr Flexibilität auf allen Seiten und ja – dare I say it? – eine stärkere Rotation der Jury statt einer festsitzenden Expertengruppe (so sehr ich auch jeden einzelnen der dort sitzenden Experten aus voller Überzeugung respektiere). „Round up the usual suspects“ war noch nie eine erfolgversprechende Strategie, wie jeder weiss, der „Casablanca“ gesehen hat. Auch nicht beim Aufbau der Jury.

Möglicherweise braucht es auch eine Lockerung der Einreichungspolitik. Welche Antwort hat die Jury eigentlich auf die wie Pilze aus dem Boden spriessenden Blogcomics? Das Internet kann man nicht einreichen. Gilt ein Johannes Kretzschmar erst dann als preiswürdig, wenn er ein Buch veröffentlicht? Das wäre schade, denn die Qualität der Comics – nicht nur seiner – ist doch wohl unabhängig vom Medium.

Für Panini wird es dieses Jahr spannend. Schliesslich, was hat der Wednesday Comics-Band auf dem Foto zu bedeuten? Sollte Panini tatsächlich im ersten Jahr, da sie nicht mehr teilnehmen, nominiert werden? Das wäre eine seltsame Ironie der Geschichte.

  • Die Gewinner der bisherigen Preisverleihungen in der Übersicht.

    Nachtrag:

  • Die Perspektive der Jury – Interview mit Bodo Birk
  • – parallel zu diesem Blogeintrag erschienen. Das Thema lag wohl einfach in der Luft.

    Nachtrag 2: in den Kommentaren jetzt auch das Statement des Kulturamtsverantwortlichen Bodo Birk.

    5 Responses to “Stell dir vor, es gibt einen Preis, und jedes Jahr bekommt ihn derselbe”

    1. Jojo says:

      Props! 🙂

    2. Bodo Birk says:

      Lieber Stefan Pannor,

      natürlich ist inhaltliche Kritik am Max und Moritz-Preis und der Jury-Zusammensetzung jederzeit legitim. In Interviews nehme ich fleissig dazu Stellung und will mich deshalb hier nicht wiederholen. Folgendes ist aber klarzustellen:

      – Für den Max und Moritz-Preis kann nur nominiert werden, wer ihn auch gewinnen möchte und entsprechend der Ausschreibung einreicht.
      – Die Jury kann und will keine Titel nominieren oder auszeichnen, wenn der entsprechende Verlag dies ablehnt.
      – Die Anzahl der einzureichenden Bände steht in direktem Zusammenhang mit der Anzahl der Juroren, kann in Härtefällen aber modifiziert werden.

      Um die Frage zu beantworten, wie die Panini-Ausgabe der Wednesday-Comics auf das Foto gelangt ist: Sie wurde vom Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen gekauft. Nur ein Exemplar übrigens. So, wie wir öfter Bücher kaufen, von denen wir glauben, dass Sie bei uns im Handapparat stehen sollten. Für das Pressefoto wurden schnell ein paar fotogene Bücher auf den Tisch gelegt. Es war unaufmerksam von uns, dass auch zwei nicht am Preis teilnehmende Panini-Titel dabei waren.

      Bodo Birk für das Comic-Salon-Team

    3. Stefan says:

      Lieber Bodo Birk,

      besten Dank für die Redaktion. Aber ein Einwand: man kann sich als Verlag gegen eine Nominierung sperren und erreicht dies, indem man keine Titel einreicht? Wird hier nicht zu kurz gedacht? Wie gesagt: die Jury soll – und ist es sicher auch – unabhängig von Verlagsproporz etc. sein. D.h. ein Titel, der der Jury nominierungswürdig erscheint, sollte auch dann nominiert werden können, wenn der Verlag – aus diesem oder jenem Grund – nicht eingereicht hat.

      Hier greift eben die Möglichkeit des Kulturamtes, Bücher zu kaufen.

      Aus Verlagssicht stellt es sich doch oft so dar: die Jury fragt via Kulturamt bei Verlag XY nach einer Menge Bücher. Das in der Regel auf Verdacht. Der Verlag schickt die Bücher, und dann passiert sehr oft gar nichts. Dieses auf-Verdacht-bestellen in einer Expertenjury finde ich gefährlich. Denn wie gesagt: grade für Kleinverlage geht es hier mitunter um kalkulatorisch relevante Mengen. Hier sollte möglicherweise mit etwas mehr Fingerspitzengefühl vorgegangen werden.

    4. Bodo Birk says:

      Lieber Stefan Pannor,

      wenn ein Verlag „aus diesem oder jenem Grund“ nicht eingereicht hat, haben Sie sicherlich Recht. In der Regel führt eine kurze Nachfrage dann zum Erfolg. Wenn ein Verlag aber dezidiert eine Nominierung bzw. Auszeichnung ablehnt, kann man sich darüber doch nicht hinwegsetzen. Nicht umsonst werden ja immer wieder Preise nicht angenommen – der Max und Moritz-Preis zum Glück noch nie. Ich verstehe nicht, was das mit Verlagsproporz zu tun hat.

      Wenn das Kulturprojektbüro bei Verlagen gezielt um spezielle Einreichungen bittet, dann nicht auf Verdacht, sondern weil es einen oder mehrere Juroren gibt, die sich in der Jury für diesen Titel einsetzen wollen. Ob er oder sie für den Vorschlag dann eine Mehrheit bekommt, kann man vorher ja nicht wissen. Ich möchte betonen, dass wir als kleines Kulturprojektbüro durchaus eine Vorstellung von der Situation kleiner Verlage haben und deshalb grundsätzlich um Fingerspitzengefühl bemüht sind.

      … aber vielleicht sollten wir da einmal persönlich weiter diskutieren.
      Bodo Birk für das Comic-Salon-Team

    5. Stefan Pannor » Blog Archive » Stille Post mit Holocaust says:

      […] Stell dir vor, es gibt einen Preis, und jedes Jahr bekommt ihn derselbe […]