Da hat man lange drauf warten müssen: mit dem letzten Band der Kriegsabenteuer von Spirou liegt die frankobelgische Traditionsserie nahezu komplett vor. Der abschliessende Band lässt sich natürlich nicht lesen, ohne die Hintergründe der Entstehung zu beachten.

Mit diesem Band tritt etwas ein, was noch vor wenigen Jahren nicht zu erwarten war: Spirou komplett in deutscher Sprache. Nun, so gut wie jedenfalls. Ein paar Comics lassen sich nur verstreut in Sonderausgaben und Magazinen finden, ein paar wenige fehlen ganz und warten gesammelt auf Veröffentlichung als reguläres Album.

Dennoch schliesst die „Notlandung“ die letzte große Lücke, indem es die letzten Episoden vor der zweitweisen Einstellung des Magazin 1943 nachdruckt – Zensur, Papiermangel und sicher auch eine allgemeine Feindlichkeit gegen alles Nichtdeutsche im besetzten Frankreich und Belgien hatten das Aus für das Heft bedeutet.

Man merkt diesen Abenteuern – und auch den vorigen – den politischen Hintergrund nicht an, vor dem sie entstanden. Waren in den Abenteuern davor noch vereinzelt Passagen zu finden, die aus heutiger Sicht rassistische Anklänge zeigten, die ein Weltbild präsentierten, das Elemente aus dem demokratischen Vorkriegseuropa mit denen der unentrinnbaren Naziporpaganda vermengte, flüchtet Rob-Vel sich hier in eine Fantasie- und Märchenwelt, die endgültig jede Verbindung zur Lebensrealität der Leser hinter sich lässt.

Es geht in den Weltraum. Eine Prinzessin muss befreit und einem Unsichtbaren geholfen werden. Das mag aus heutiger Sicht altbacken wirken, damals waren es hochmoderne Enterteinmant-Sujets, die in Unterhaltungsfilmen immer wieder auftauchten.

Vor allem – aber nicht nur – in amerikanischen und britischen. Rob-Vel bezieht sich klar auf die anglomaerikanische Tradition der Phantastik, seine Darstellung wissenschaftlicher Labore und pfeiferauchender Genies mit karierter Mütze (!) verweisen überdeutlich auf eine Tradition der Phantastik außerhalb Kontinaleuropas.

War das Subversion? Wohl eher nicht. So wie Rob-Vels Kollegen amerikanische Zeitungsstrips fortführen mussten, als kriegsbedingt der Nachschub der amerikanischen Syndikate ausblieb, bedient auch der „Spirou“ jener Zeit zuersteinmal einen Markt, ein Verlangen des Publikums nach jenen Mustern der Erzählung, gradliniger transkontinentaler Unterhaltung.

Sicher holprig. Solange keiner wusste, wie lang, wie oft und ob überhaupt nächste Ausgaben des Magazins erscheinen würden, war die Entwicklung langer Handlungsbögen ein Risiko. Naiv, immer mit der Option, die laufende Geschichte schnell zu beenden, ist „Notlandung auf Zigomus“ sicher kein Klassiker des Comics. Und sicher sieht das grafisch wenig überzeugend aus: der Druck, aber auch die Zeichnung musste auf geringwertigstem Papier erfolgen.

Aber man kann das sowieso nicht lesen, ohne sich die Hintergründe der Arbeit im von Nazis besetzten Land zu verdeutlichen. Grade vor dem Hintergrund von allgegenwärtigem Besatzungsterror war „Spirou“ Fluchtlektüre und womöglich auch willkommene Ablenkung für den Zeichner selbst. Ein kreativer Kraftakt nach innen und außen, diesen fröhlichen Eskapismus noch produzieren zu können.

Bis zum September 1943, der vorläufigen Einstellung des Heftes bis Kriegsende. Die Nazis hatten „Spirou“ besiegt – aber nicht für lange: zwei Jahre später sollten Heft und Figur größer und schöner auferstehen als zuvor und eine neue Epoche des Comics einläuten.

Rob-Vel
Spirou & Fantasio Spezial: Notlandung auf Zigomus
Carlsen Comics, 48 S.; €12,00

One Response to “Geschafft! „Spirou“ nahezu komplett”

  1. Stefan Pannor » Blog Archive » Spirou vs PEGIDA says:

    […] Geschafft! Spirou nahezu komplett […]